Kommentar:Patient statt Portemonnaie

Im Gesundheitswesen muss sich etwas ändern. Bilanzen sollten nicht länger die Arbeit von Ärzten bestimmen.

Von Kristiana Ludwig

Medizin ist ein riesiges Geschäft: Mehr als 300 Milliarden Euro fließen jedes Jahr in das deutsche Gesundheitssystem, im Durchschnitt mehr als 4000 Euro für jeden Bürger. Das ist ein gewaltiger Betrag, um den sich eine ganze Branche reißt: Klinikkonzerne und Pharmaunternehmen, Hersteller von medizinischem Gerät - und auch Ärzte. Weil es ums Geld geht, müssen Kassenpatienten am Ende eines Quartals länger auf einen Termin warten. Und Privatpatienten müssen aufpassen, dass sie beim Arztbesuch keine unnötigen Therapien aufgeschwatzt bekommen.

Das ist für viele Bürger kaum zu verstehen. So sind Ärzte doch eigentlich nur der Gesundheit ihrer Patienten verpflichtet, sonst zu nichts. Die Realität sieht in Arztpraxen jedoch etwas anders aus. Niedergelassene Ärzte sind auch Unternehmer, die für ihr Auskommen und für ihre Mitarbeiter sorgen müssen. Dass dies in einigen Gegenden Deutschlands gar nicht so einfach ist, zeigt ein Ärztemangel, der gerade auf dem Land zum Problem geworden ist. Eine eigene Praxis zu betreiben ist auch ein finanzielles Risiko.

Deshalb kann man es Ärzten nur bedingt zum Vorwurf machen, dass sie weniger Termine an gesetzlich Versicherte vergeben oder diese verschieben, sobald ein Quartal zu Ende geht. Denn schließlich ist dann bei den meisten Ärzten das Budget für Behandlungen aufgebraucht, jeder Patiententermin ist weniger wert. Wenn sich Routineuntersuchungen kaum noch rechnen, verschieben viele sie lieber auf den nächsten Monat - und konzentrieren sich auf die Behandlung von Privatversicherten, für die es kein Limit gibt.

Diese Erkenntnis sollte vor allem ein Warnzeichen dafür sein, dass sich an der finanziellen Organisation des Gesundheitssystems etwas ändern muss. Die Art der Therapie, die ein Patient erhält, sollte weniger stark mit dem Einkommen der Ärzte verbunden sein. Wenn einige Untersuchungen besser und andere schlechter bezahlt werden, ist es nicht verwunderlich, wenn Anreize für falsche oder zu späte ärztliche Behandlungen entstehen.

Dabei ist die Abrechnung einzelner Arbeitsschritte eines Arztes nur eine von vielen Möglichkeiten, wie man ein Gesundheitssystem organisieren könnte. In anderen Ländern werden Ärzte beispielsweise über die Anzahl ihrer festen Patienten bezahlt. Oder die Krankenkassen handeln feste Summen mit einzelnen Doktoren aus.

Die Bürgerversicherung könnte ein Schritt in die richtige Richtung sein

Natürlich haben auch andere Systeme ihre Tücken. Doch es würde sich lohnen, über kluge, grundsätzliche Reformen nachzudenken, die ambulanten Ärzten und auch Klinikangestellten mehr freie Entscheidungen bei ihren Behandlungen ermöglichen.

Schließlich klagen nicht nur niedergelassene Ärzte, sondern vor allem die Mediziner in Krankenhäusern schon lange darüber, dass die Bilanz ihre Arbeit beeinflusse. Seit in Deutschland vor 14 Jahren die sogenannten Fallpauschalen eingeführt wurden, werden Operationen nach Stückzahl bezahlt. Zuvor hatten Krankenhäuser für jeden Tag, den ein Patient bei ihnen verbrachte, Geld von den Kassen bekommen. Im alten System kamen die Geheilten oft kaum wieder aus dem Hospital heraus. Im neuen System stehen die Mitarbeiter unter Druck, Patienten öfter und zügiger zu heilen.

Privatversicherte werden dagegen auch in Klinken umworben. Ihnen werden schicke Komfortstationen und Chefarztbehandlungen geboten, während es bei Kassenpatienten schnell gehen muss: Bei Nacht- und Notdiensten sparen viele Klinikmanager. Das ist nicht nur für Patienten, sondern auch für Ärzte und Pfleger ein unbefriedigender Zustand.

Die Bürgerversicherung, für die Sozialdemokraten streiten, soll eine solche Zwei-Klassen-Medizin abschaffen. Und tatsächlich könnte sie ein kleiner Schritt in diese Richtung sein. Allerdings kommt es sehr auf ihre Ausgestaltung an. Allein ein einheitliches Versicherungssystem, das für alle Patienten gilt, ändert noch nichts. Der Geldanreiz für Praxen und Kliniken bliebe derselbe.

Die Politik sollte lieber nachdenken, wie sich die Abhängigkeit der Mediziner von lukrativen Therapien mildern ließe. Das wäre ein anspruchsvolleres Projekt als die Diskussion um Versicherungsbeiträge und Tarifwechselmodelle. Aber es würde auch viel mehr bewirken - zum Wohle der Patienten.

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