Kommentar:Notenbanken ohne Mandat

Immer lauter werden Forderungen, die Zentralbanken sollen aktiv Klimapolitik betreiben. Doch das ist der falsche Weg. Die Geldpolitik hat schon zu viele Aufgaben übernommen.

Von Claus Hulverscheidt

Die Bewältigung des Klimawandels ist neben dem Kampf gegen die Armut sowie der Sicherung von Frieden und Freiheit die wohl drängendste politische Aufgabe dieser Zeit. Deshalb kann die Welt auch nicht warten auf Leugner und Besitzstandswahrer, die sich vor Veränderung oder dem Zorn eines 16-jährigen Mädchens fürchten. Vielmehr müssen sich die Regierungen täglich fragen, welchen zusätzlichen Beitrag jeder einzelne Bereich zur Begrenzung der Erderwärmung leisten kann: die Verkehrs-, Energie- und Wohnungsbaupolitik, die Wirtschafts- und Finanzpolitik, die Entwicklungs- und die Außenpolitik. Nur wenn alle mitziehen, werden sich die Versäumnisse der Vergangenheit noch einigermaßen korrigieren lassen.

Vor diesem Hintergrund erscheint es nur logisch, dass in den USA wie in Europa diskutiert wird, welchen Klimabeitrag auch die Geldpolitik leisten könnte. Christine Lagarde, die neue Chefin der Europäischen Zentralbank (EZB), will ihre Institution "grüner" machen, der Internationale Währungsfonds und der Europaabgeordnete Sven Giegold haben sogar schon konkrete Vorschläge unterbreitet: So könnten die Notenbanken Kreditinstituten, die in umweltfreundliche Projekte investieren, bessere Ausleihbedingungen gewähren. Oder die Währungshüter erwerben im Rahmen ihrer eigenen Anleihekäufe vor allem solche Unternehmensbonds, deren Erlöse klimaneutral investiert werden.

Das klingt sinnvoll, ist es aber nicht, denn es ist schlicht nicht Aufgabe der Geldpolitik zu entscheiden, wofür Firmen und Banken ihr Geld ausgeben und welche Kapitalanlagen klimapolitisch sinnvoll sind. Für eine solche Differenzierung fehlt den Zentralbankern die Expertise und - mehr noch - das Mandat. Notenbanken genießen eine weitgehende Unabhängigkeit, weil ihre Kernaufgabe, die Sicherung stabiler Preise bei möglichst hoher Beschäftigung, auf Dauer nur erfüllbar ist, wenn sie frei von politischem Druck agieren können. Diese Freiheit aber ist nur so lange zu rechtfertigen, wie sich die Zentralbanker auf ein klar definiertes, eng umrissenes Aufgabenfeld konzentrieren. Mischen sie dagegen auch in der Sozial-, der Finanz- oder eben der Umweltpolitik mit, stellt sich zu Recht die Frage, wie es sein kann, dass eine Institution über das Schicksal von Menschen, Regierungen und Staaten mitentscheidet, deren führende Vertreter von niemandem gewählt wurden.

Die Zentralbanken haben schon zu viele Aufgaben, sie sollten nicht überfordert werden

Schon in der Finanz-, Wirtschafts- und Euro-Krise haben manche Notenbanken ihr Mandat dramatisch gedehnt, weil die eigentlich zuständigen Regierungen und Parlamente versagten und sich um unpopuläre Entscheidungen herumdrückten - etwa in Deutschland. Damit haben die Geldpolitiker ihren Gesellschaften einen Dienst erwiesen, allerdings um den Preis, dass sie an Reputation eingebüßt haben und härter denn je um ihre Unabhängigkeit kämpfen müssen. Die Schlussfolgerung kann nur lauten, sich künftig aus der allgemeinen Politik herauszuhalten und sich nicht noch einmal als Feigenblatt untätiger gewählter Abgeordneter missbrauchen zu lassen. Wenn der Gesetzgeber etwa will, dass Anleihen von Ölkonzernen künftig anders bewertet werden müssen als die Bonds etwa von Windparkbetreibern, dann soll er gefälligst entsprechende Vorschriften erlassen, statt Beschlüsse auf die Notenbanken abzuschieben.

Die Geldpolitik hat in den vergangenen zehn Jahren nicht zu wenige, sondern zu viele Aufgaben übernommen. Es sollten nicht noch weitere hinzukommen, auch nicht solche, die einem hehren Ziel wie dem Kampf gegen die Erderwärmung dienen. Selbstverständlich können Notenbanker für mehr Klimaschutz werben und Kreditinstitute wie Verbraucher zu nachhaltigen Anlagestrategien ermuntern. Wenn aber ihr Kernauftrag berührt ist, der Kampf gegen Inflation, Deflation und Arbeitslosigkeit, dann müssen sie sich gegen jede Überfrachtung zur Wehr setzen.

Es geht den Verantwortlichen in Frankfurt und Washington, in London und Tokio in diesem Moment wie dem Chirurgen im Krankenhaus: Liegt ein Verletzter auf dem OP-Tisch, dann muss er jene Medikamente und Spritzen erhalten, die maximalen Behandlungserfolg versprechen, unabhängig von der Frage, ob eine bestimmte Arznei biologisch schwer abbaubar oder die Spritze aus Plastik ist. Denn es wäre niemandem gedient, wenn am Ende der Operation die Erde zwar ein kleines bisschen grüner ist - der Patient aber tot.

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