Süddeutsche Zeitung

Kommentar:Nichts geht mehr

91 Milliarden Euro setzen Menschen in Deutschland jedes Jahr auf Glücksspiele. Der Markt wächst vor allem auf unkontrollierten Feldern - Zeit, dass sich was ändert.

Von Jan Willmroth

Die vergangenen Monate waren eine Zeit der politischen Trauerspiele. Wann im neuen Jahr der letzte Akt des Dramas um die Regierungsbildung in Berlin aufgeführt wird, vermag noch immer niemand zu sagen. Der Schwebezustand einer geschäftsführenden Bundesregierung ist aber noch nichts gegen jenes Polit-Trauerspiel, das sich seit Jahren hinzieht, mit der Zeit immer komplizierter wird und so langatmig ist, dass selbst Darsteller, Bühnenbildner und Regisseure kaum noch Freude daran haben, es aufzuführen: die Tragödie der deutschen Glücksspielregulierung.

So zäh dieses Stück sein mag, man muss es anschauen, man muss es deuten und diskutieren. Eine gesellschaftliche Debatte über Glücksspiele in Deutschland ist überfällig, eine Reform der Gesetze dringend geboten. Denn die Leidtragenden der gegenwärtigen Situation sitzen als Verbraucher im Publikum und haben längst den Überblick verloren.

Der Markt hat einen Zustand erreicht, der in einer regelbasierten Marktwirtschaft nicht mehr tragbar ist. Mehr als 91 Milliarden Euro setzen Menschen in Deutschland jedes Jahr aufs Spiel, für Lottospiele und Rubbellose, an Daddelautomaten, in Wettbüros, für Sportwetten im Internet oder bei virtuellen Kasino-Angeboten. Es ist ein schnell wachsender Markt, in dem vor allem jene Angebote Zulauf erhalten, die es nach geltendem Recht nicht geben dürfte. 40 Prozent der Spieleinsätze fallen im unregulierten Bereich an und damit teilweise auf unkontrollierten Schwarzmärkten.

Bei den meisten Glücksspielen in Deutschland hat der Staat das Monopol. Lotterien sind bis auf wenige Ausnahmen den 16 Landeslottogesellschaften vorbehalten. Stationäre Automatenspiele sind erlaubt, aber wegen verschärfter Regeln auf dem Rückzug. Sportwetten sind noch nicht offiziell legal, werden aber geduldet und warten seit 2014 auf Genehmigungen. Glücksspiele im Internet, die private Anbieter zumeist von Niedrigsteuerstaaten aus betreiben, sind grundsätzlich verboten. Doch genau dieser illegale Teil des Marktes wächst am schnellsten.

Der Staat - im Fall der Glücksspielgesetze sind das die Bundesländer - ist zweifellos erstens mit dem Anspruch gescheitert, die Verbraucher ausreichend zu schützen und zweitens mit der Maßgabe, "der Entwicklung und Ausbreitung von unerlaubten Glücksspielen in Schwarzmärkten entgegenzuwirken." Beides ist im aktuellen Glücksspielstaatsvertrag verfasst, als Begründung für die darin festgelegten Verbote.

Allein, Verbote bringen nur dann etwas, wenn sie auch durchgesetzt werden. Die Länder haben dereinst 2012 die strengen Paragrafen erlassen, ihre Glücksspielaufsichten aber mit erschreckend wenig Personal und Geld ausgestattet. So fehlt es ihnen an Schlagkraft gegen ausländische Anbieter, die seit Jahren illegale Geschäfte machen können, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen: hier ein paar überforderte Beamte, dort millionenschwere Glücksspielkonzerne mit cleveren, teuren und spezialisierten Anwälten.

Es ist Zeit für eine schlagkräftige Behörde, ähnlich der Finanzaufsicht Bafin

Damit nicht genug. Ursprünglich sollten nur 20 Sportwettenanbieter eine Lizenz erhalten. Die Vergabe scheiterte vor Gericht, was die Länder dazu zwang, den Glücksspielstaatsvertrag zum dritten Mal innerhalb von zehn Jahren zu überarbeiten. Bis überhaupt ein Reformentwurf vorlag, vergingen Jahre. Im Dezember scheiterte die Reform endgültig am Widerstand einiger Bundesländer, vor allem an Schleswig-Holstein, das sich für eine insgesamt laxere Regulierung einsetzt. Zuerst wurde das Regelwerk mangelhaft umgesetzt, dann viel zu lange an einer Reform gefeilt, jetzt sind die Länder nicht einmal mehr kompromissfähig.

Derweil machen private Glücksspielanbieter weiter was sie wollen, mit tatkräftiger Hilfe der Finanzindustrie und unter Ausnutzung schwer zu durchschauender Firmenkonstrukte in Steueroasen, wie zuletzt die Paradise Papers gezeigt haben. Mit jedem zusätzlichen Euro auf dem Schwarzmarkt steigt der Druck, die Situation endlich in den Griff zu bekommen. Im neuen Jahr müssen die Länder liefern. Es ist Zeit für eine länderübergreifende Kommission, die bundesweit für die Glücksspielregeln und deren Durchsetzung zuständig ist, mit dem Ziel, in einigen Jahren eine schlagkräftige Behörde ähnlich der Finanzaufsicht Bafin einzurichten. Das kostet Nerven und vor allem Geld. Viel teurer aber würde es, die Tragödie nie zu beenden.

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Quelle:
SZ vom 29.12.2017
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