Süddeutsche Zeitung

Kommentar:Neun Milliarden - und dann?

Die steigenden Corona-Zahlen treffen die Lufthansa empfindlich - und werfen die Frage auf, ob sie trotz Staatshilfen bald einen neuen Finanzierungsplan braucht. Fest steht: Die Fluglinie muss effizienter werden. Schnell.

Von Jens Flottau

Der Plan sah ungefähr so aus: Rechtzeitig zum Sommergeschäft wollte Lufthansa den Flugplan mit Hilfe der neun Milliarden Euro an Staatshilfen langsam hochfahren. Im Herbst sollte dann die Langstrecke dazukommen. Im nächsten Jahr würde es dann weiter beständig aufwärtsgehen, mit Schmerzen und riesigen Schulden, aber immerhin.

Das mit dem Sommer hat noch halbwegs funktioniert. Doch die Aussichten für den Rest des Jahres und bis weit ins nächste Jahr hinein sind mit schlecht nicht hinreichend beschrieben. Sie sind dramatisch schlecht. In der Urlaubssaison sind die Corona-Fallzahlen wieder gestiegen, es gibt immer mehr Reisewarnungen, zuletzt für Spanien und Teile Kroatiens. Die Gesundheitsminister der Bundesländer wollen nun wieder eine pauschale Quarantäne für Reisende aus Risikogebieten einführen, ein Desaster für die Flugbranche. Die kleine Nachfrage, die es derzeit gibt, wird schrumpfen. Zudem ist nicht absehbar, wann die für Lufthansa so wichtige, weil lukrative Langstrecke zurückkommt.

Wenn sich die Lage nicht deutlich verbessert, sind die Annahmen, auf denen das Staatshilfepaket basiert, sehr schnell Makulatur. Spätestens Anfang 2021 wird sich dann wohl die Frage stellen, wie sich Lufthansa weiter finanzieren kann und ob der Staat ein zweites Mal helfen muss. Man könnte argumentieren, dass das wirtschaftlich notwendig und politisch akzeptabel wäre, zumal die Reisebranche von der Pandemie mit am meisten betroffen ist und auch der Reisekonzern Tui schon zwei Mal Hilfe bekommen hat.

Doch die Frage ist, ob das eine nachhaltige Lösung wäre. Schon jetzt ächzt Lufthansa unter Schulden und Zinslast. Das Unternehmen muss alles daransetzen, die Kredite und Einlagen nach drei Jahren weitgehend zurückgezahlt zu haben, danach schießt der Zinssatz gemäß der Vereinbarung mit der Bundesregierung in die Höhe. Zusätzliches Geld würde es mutmaßlich nur zu vergleichbaren Bedingungen geben. Aber wie sollen die Zinsen bedient und die vielen Schulden jemals zurückgezahlt werden?

Niedrigere Pilotengehälter allein werden nicht helfen

Andererseits: Es gibt wenige Alternativen. Klar, von den 760 Flugzeugen gehören dem Konzern 656. Viele davon könnte Lufthansa in der Theorie an Leasingfirmen verkaufen und zurückleasen. Sie würde sich Zeit kaufen, aber auch die künftigen Kosten erhöhen und letztlich das tun, was sie Konkurrenten immer vorgeworfen hat: eilig Geld besorgen und sich über die Zukunft später Gedanken machen. Ein anderes Szenario: Der Konzern könnte Investoren für Tochterunternehmen wie Lufthansa Technik suchen. Aber was wären die Bedingungen inmitten solch einer Krise?

Wenn die Lage nicht bald besser wird, könnte daher erneut - wie schon während der Verhandlungen für das erste Rettungspaket - die Frage im Raum stehen, ob ein Schutzschirmverfahren nicht die beste aller schlechten Optionen wäre. Egal, welchen Weg die Lufthansa-Führung in Sachen Finanzierung einschlägt: Sie muss jetzt Entscheidungen treffen, die schon lange überfällig sind. Schon vor zehn Jahren war klar, dass effizientere Langstreckenflugzeuge mit nur zwei Motoren die Zukunft sind. Lufthansa hat viel zu lange gebraucht, dies zu verstehen. Erst jetzt werden (hoffentlich) die A380-Jets und andere Riesenflieger verabschiedet. Mit moderneren Jets vom Typ Airbus A350 und Boeing 787 kann die Airline künftig flexibler agieren und ist nicht mehr so sehr auf die klassischen Rennstrecken fokussiert. Diese Jets kommen aber erst in den nächsten Jahren.

Weil zuletzt wieder viel zu hören war über Pilotengehälter und die Diskussionen mit den Gewerkschaften: Bei einem typischen Flug machen die Piloten etwa drei Prozent der Gesamtkosten aus. Selbst wenn sie alle künftig die Hälfte verdienen würden, würden die Kosten nur um 1,5 Prozent sinken. Natürlich sollten Piloten und andere Mitarbeiter ihren Krisen-Beitrag leisten. Doch das Potenzial ist begrenzt. Mindestens genauso wichtig ist es, die veralteten Strukturen zu erneuern. Konzernchef Carsten Spohr, seit Jahrzehnten eingefleischter Lufthanseat, muss sein Unternehmen komplett umkrempeln. Daran führt kein Weg vorbei.

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SZ vom 26.08.2020
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