Im deutschen Aktienrecht kommt dem Aufsichtsrat einer Kapitalgesellschaft eine klare Rolle zu: Er muss den Vorstand, der die operativen Geschäfte führt, überwachen. Durch diese Kontrollinstanz sollen Misswirtschaft, Selbstbedienung, Fehlentwicklungen oder gar Betrug unterbunden oder mindestens aufgeklärt werden. Aufsichtsräte dürfen in Deutschland deshalb nicht gleichzeitig Mitglied des Vorstands sein, anders als im angelsächsischen Führungsmodell, das einen gemeinsamen "Board" vorsieht.
Eine effektive Kontrolle und Aufklärung des Unternehmens durch den Aufsichtsrat - gilt das auch für Volkswagen? Zweifel sind durchaus angebracht. Schon heute ist der Aufsichtsrat vor allem mit Mitgliedern der Großaktionäre und mit Arbeitnehmer-Vertretern besetzt. Die beiden Familien Porsche und Piëch sind zudem untereinander heillos zerstritten, dazu kommen zwei Politiker - die Vertreter des Landes Niedersachsen, Ministerpräsident Stephan Weil und sein Wirtschaftsminister Olaf Lies - sowie zwei Abgesandte aus Katar. Geleitet wird das Gremium derzeit vom ehemaligen IG-Metall-Chef Berthold Huber. Unabhängige Mitglieder, die einen unverstellten Blick auf das Unternehmen mitbringen, gibt es also so gut wie nicht. Doch gerade das ist nun nötig bei der Bewältigung dieser gewaltigen Manipulationsaffäre, bei der die Umweltbehörden mit falschen Angaben zum Schadstoffausstoß von Dieselfahrzeugen hintergangen wurden.
Pötsch als VW-Aufsichtsratschef ist eine Fehlbesetzung
Es gibt eine Chance, das zu korrigieren - bei der Berufung des neuen Aufsichtsratsvorsitzenden. Geplant ist, dass der derzeitige Finanzvorstand Hans Dieter Pötsch den Posten übernehmen soll. Das aber ist ein Fehler. Pötsch steht wohl kaum für den notwendigen bedingungslosen Neuanfang und für schonungslose Aufklärung. Er ist seit zwölf Jahren Finanzvorstand und damit Mitglied des innersten Führungszirkel, er hat die meisten Deals eingefädelt, er war der Mann hinter Vorstandschef Martin Winterkorn, gegen den gerade die Staatsanwaltschaft Braunschweig ein Ermittlungsverfahren eingeleitet hat. Selbst wenn man annimmt, dass Pötsch unbelastet ist, hat auch er eine politische Verantwortung für den Skandal. Ganz abgesehen davon, dass der Kodex für gute Unternehmensführung (Corporate Governance) ohnehin vorsieht, dass Vorstände zwei Jahre lang "abkühlen", also warten, müssen, bevor sie in den Aufsichtsrat wechseln - mit gutem Grund. Verhindert werden sollen damit Interessenskonflikte. Ehemalige Vorstände sollen als Aufsichtsrat nicht über das wachen, was sie gerade noch selbst beschlossen haben.

Volkswagen:Hat Winterkorn Anspruch auf Millionen-Boni?
Dem zurückgetretenen VW-Chef stehen noch viele Millionen Euro zu. Jetzt wird der Ruf laut, einen Teil an die Belegschaft auszuschütten.
VW muss neu anfangen, das aber kann nur mit neuen Leuten an der Spitze gelingen. Matthias Müller, der neue VW-Vorstandsvorsitzende, hatte einst als Lehrling im VW-Konzern angefangen und seine gesamte Karriere dort verbracht. Bei allen Beteuerungen, dass er nun schnell aufräumen und eine neue Kultur einführen will, ist auch er ein Mann aus der alten Führungsriege. Aber kurzfristig war es wohl unmöglich, einen neuen Konzernchef von außen zu finden, der das Zeug für diese Aufgabe mitbringt. Einen anderen VW-Chefaufseher bis November zu bestimmen, sollte aber machbar sein.
Siemens und Thyssen-Krupp nutzte der personelle Neuanfang
Andere deutsche Konzerne, die durch eigenes Verschulden in schwere Krise geraten sind, haben gute Erfahrungen mit einem personellen Neuanfang gemacht. Thyssen-Krupp etwa, der Stahlkonzern aus Essen, hat sich mit Milliardeninvestitionen in Brasilien und Nordamerika völlig verspekuliert und stand am Abgrund. Ein neuer Vorstandschef von außen, Heinrich Hiesinger, gibt den Sanierer und treibt den Kulturwandel voran. Aufsichtsratschef Gerhard Cromme ist seinen Job inzwischen auch los. Oder Siemens: Peter Löscher, so umstritten der Vorstandschef später war, kam als Neuling und schaffte es als Externer, die schwere Korruptionsaffäre aufzuklären.
Ein Vorbild für Volkswagen könnte auch die Deutsche Bank sein: Paul Achleitner, ein Finanzmanager mit tadellosem Ruf, übernahm den schwierigen Job als Aufsichtsratsvorsitzender und müht sich seitdem mit Erfolg, die Deutsche Bank in eine neue Zukunft zu führen und alte Skandale aus der Welt zu schaffen. Interessanterweise bestellte auch er dabei zuletzt mit John Cyran einen neuen Bankchef, der von außen kommt und unbelastet ist. Auch VW bräuchte jemanden wie Achleitner. Denn die Krise ist mindestens so groß wie jene bei der Deutschen Bank.