Bundesregierung:Ein Goldman-Sachs-Manager kann der Politik helfen

Der neue Finanzminister Olaf Scholz holt mit Jörg Kukies einen umstrittenen Staatssekretär ins Haus.

Bundesministerium der Finanzen in Berlin: Schärfere Gesetze schrecken Steuerbetrüger offenbar kaum ab.

(Foto: imago stock&people/imago/Schöning)

Der Deutschland-Co-Chef der Investmentbank wird Staatssekretär im Finanzministerium. Mancher findet das irritierend - zu Unrecht.

Kommentar von Ulrich Schäfer

Gern wird gegen Politiker vorgebracht, sie hätten keine Ahnung vom Leben, seien Funktionäre, wüssten nichts von der Welt, über deren Gestaltung sie entscheiden. An Stammtischen, in Talkshows und manchen Medien hört man derlei Argumente immer wieder. Manchmal aber wird gegen Politiker auch das glatte Gegenteil vorgebracht: dass sie zu dicht dran seien an den Dingen, dass ihre Interessen zu sehr verwoben seien mit den Menschen, die von ihren Gesetzen tatsächlich oder vermeintlich profitieren. Jörg Kukies, der neue Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, muss sich gerade dieses Vorwurfs erwehren, denn er war in den letzten Jahren einer der beiden Deutschlandchefs von Goldman Sachs, dieser einflussreichen Investmentbank aus den USA, die auch tief in die Finanzkrise verstrickt war.

Kann so einer, darf so einer, soll so einer einen derart bedeutenden Posten in der Regierung übernehmen? Darf ein Goldman-Banker, ausgestattet mit SPD-Parteibuch, aber eben auch eng verwoben mit der Finanzszene, künftig darüber mitentscheiden, wie die Finanzmärkte reguliert werden? Darf er mitmischen, wenn über die Zukunft des Euro entschieden wird, der ja von Investmentbanken auch als Spekulationsobjekt gehandelt wird?

Ja, er kann, er darf, er soll - auch wenn das in der SPD, und erst recht in der Opposition, an Stammtischen und in den sozialen Netzwerken, längst nicht jeder so sieht. Denn einer wie Kukies bringt zusätzlichen Sachverstand in die neue Regierung mit ein, er kann als politischer Beamter dabei helfen, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Und er wird sie ja nicht alleine treffen. Als Staatssekretär wird er zwar ein mächtiger Mann im Bundesfinanzministerium sein, zuständig für die Europa- und Finanzmarktpolitik, für Währungen und Kapitalmärkte, für Banken und Versicherungen; aber über ihm gibt es immer noch einen Minister, einen Sozialdemokraten zumal, der zurzeit sogar kommissarisch die SPD führt.

Olaf Scholz dürfte in jeglicher Hinsicht als unverdächtig gelten, ein Knecht des Großkapitals zu sein. Dem bisherigen Ersten Bürgermeister von Hamburg geht es ganz einfach darum, Kompetenz in sein Ministerium zu holen. Deshalb hat er ja neben Kukies in Werner Gatzer noch einen weiteren Mann geholt, der ebenfalls ein SPD-Parteibuch besitzt und nun die Seite wechselt. Gatzer kümmerte sich als Haushaltstaatssekretär bereits unter dem Sozialdemokraten Peer Steinbrück und dem Christdemokraten Wolfgang Schäuble mit großer Akribie um den Bundeshaushalt, er war anerkannt bei Freund und Feind, ging dann aber zwischendurch zur Bahn. Nun kehrt Gatzer zurück.

Der Staatssekretär wird unter Beobachtung stehen

Hätten diejenigen recht, die Seitenwechsel zwischen Politik und Wirtschaft verdammen, dann dürfte - streng genommen - selbst ein Werner Gatzer nicht in die Politik zurückkehren; und ein Jörg Kukies dürfte seinen Beamtenjob sowieso nicht antreten und müsste dort bleiben, wo er bisher sehr viel mehr Geld verdient hat: bei der Bank. Stattdessen hätte Scholz für die beiden Posten diejenigen nehmen müssen, die er für die zweit-, dritt- oder gar viertbeste Wahl gehalten hätte - nur weil sie von innen gekommen wären, aus dem Apparat. Will man das? Will man die Politik wirklich dazu zwingen, in ihrem eigenen Saft zu schmoren, um sie anschließend dann dafür kritisieren zu können, dass sie in ihrem eigenen Saft schmort?

Die Aufregung um Kukies ist auch deshalb so groß, weil es sich bei Goldman Sachs eben nicht um eine norddeutsche Sparkasse handelt. In Washington kamen in den vergangenen Jahrzehnten gleich drei Finanzminister von Goldman Sachs: Robert Rubin, Henry Paulson und Steven Mnunchin. Auch Mario Draghi, der Präsident der Europäischen Zentralbank, war einst für Goldman tätig. Verschwörungstheoretiker munkeln deshalb - ohne jeglichen Beweis - gern von einer informellen Weltregierung aus der Finanzindustrie, die die Politik unterwandert habe und nur ihre eigenen Interessen verfolge. Tatsächlich jedoch zeigt der Rücktritt von Donald Trumps Wirtschaftsberater Gary Cohn, dem einstigen Vize-Präsidenten von Goldman Sachs, dass die Goldmänner durchaus unabhängig sind.

Jörg Kukies wird als Staatssekretär natürlich unter besonderer Beobachtung stehen. Aber es gibt keinen Grund, ihm gleich von Anfang an eine einseitige Arbeit zu unterstellen. Er wird allerdings darauf achten müssen, sich bei möglichen Interessenkonflikten entweder herauszuhalten oder diese offenzulegen. Messen aber muss man ihn an seiner Arbeit - und nicht an den Vorurteilen, die es gegen Goldman Sachs und deren Personal gibt.

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