Kommentar:Mehr Demut!

Kaum trübt sich die Konjunktur ein, kritisieren Manager die Bundesregierung und stellen Forderungen. Dabei haben sie in den vergangenen Jahren einiges selbst verbockt. Viele Forderungen sollen von eigenen Versäumnissen ablenken.

Von Uwe Ritzer

Kaum begann die Konjunktur sich einzutrüben, setzte das große Jammern und Klagen ein. Den Auftakt machte BDI-Präsident Dieter Kempf im Juni, als er der Kanzlerin "mutloses Abarbeiten kleinteiliger Politikfelder" vorwarf und ihrer Bundesregierung das Fehlen jedweden wirtschaftspolitischen Kurses. Vergangene Woche war es BASF-Chef Martin Brudermüller, der von der Politik gar eine neue Agenda 2010 verlangte. Zwischen Kempf und Brudermüller verging in diesem Sommer kaum eine Woche, in der kein Wirtschaftsvertreter auf die Politik losging, dies und das forderte, am liebsten Geld. Von den Landwirten ist man das gewohnt, dass auch Computerspiel-Entwickler Staatsknete wollen, ist hingegen neu.

Nun machen es Regierung und Opposition ihren Kritikern auch leicht. Die einen, weil ihnen Mut und Entschlossenheit fehlen, die anderen, weil ihre alternativen Konzepte selten realistisch sind, dafür häufig populistisch. Dabei gibt es zweifellos große, drängende und vor allem weit in die Zukunft gerichtete Herausforderungen für die Politik. Die Digitalisierung zum Beispiel, die hierzulande nur in einer beklagenswerten Schrittgeschwindigkeit vorwärtskommt. Oder das Rentensystem, das schon wegen der demografischen Entwicklung zu kollabieren droht, so es nicht grundlegend reformiert wird. Der Kampf gegen die Wohnungsnot und der damit verbundene Anstieg von Mieten und Immobilienpreisen müsste ebenfalls entschlossener angegangen werden. Und das Gesundheitssystem braucht eine Generalkur, denn wie kann es sein, dass dort Geld zirkuliert wie noch nie, die Versorgung gesetzlich versicherter Patienten aber immer schlechter wird?

Es gibt kein Gesetz, das Belohnungen für Versager vorschreibt

Ja, es gäbe politisch einiges zu tun, aber Deutschlands Wirtschaftsvertreter taugen nur sehr bedingt als Mahner und Ratgeber. Vielmehr stünde ihnen im Umgang mit Staat und Politik mehr Demut und vor allem Selbstkritik gut an. Zu vieles haben sich Manager in wichtigen Chefetagen in den vergangenen Jahren geleistet, ihre Sündenregister sind lang und beispiellos.

Den Abgasskandal etwa, der die deutsche Autoindustrie erschüttert und Milliarden kostet, haben nicht Politiker zu verantworten, sondern Automanager mit einer unfassbaren Hybris. Es waren auch keine Regierung und kein Parlament, sondern Vorstände und Aufsichtsräte, die beim Bayer-Konzern den Harakiri-Kauf von Monsanto zu verantworten haben, der das Unternehmen in Lebensgefahr gebracht hat. Auch die Deutsche Bank hat sich mit ihrem suizidalen Umgang mit Recht und Gesetz, sowie strategischer Planlosigkeit selbst in ihre existenzbedrohende Dauerkrise manövriert. Der gigantische Steuerbetrug mit Cum-Ex-Geschäften geht auf das Konto krimineller Drahtzieher in Firmen und Banken, denen Staat und Gesellschaft egal sind. Und dass gerade mit dem Autozulieferer Leoni und dem Werkstoffhersteller SGL Carbon zwei Konzerne in gefährliche Schieflage geraten sind, ist nicht schlechter Wirtschaftspolitik, sondern handwerklichem Pfusch von Managern geschuldet, die beim Rechnen und Planen jämmerlich gescheitert sind.

Gewiss, diese Beispiele erlauben keine Verallgemeinerung; vielen Firmen geht es gut, die meisten Unternehmer und Manager wirtschaften umsichtig, verantwortungsbewusst und erfolgreich. Doch das Schlimme an den Pfuschern und Versagern ist, dass sie in Summe Hunderttausende Arbeitsplätze und damit Existenzen gefährden. Für die Folgen ihrer Misswirtschaft muss schlimmstenfalls die Allgemeinheit aufkommen. Staat und Sozialkassen werden als Fangnetze missbraucht, während die Verantwortlichen mit dicken Abfindungen oder Pensionen weggeschickt werden. Das endlich zu ändern, wäre ein probates Handlungsfeld für die Wirtschaft selbst, denn es gibt kein Gesetz, das Belohnungen für Versager vorschreibt.

Stattdessen befällt viele Wirtschaftsvertreter der Reflex zum Rückfall in alte Verhaltensmuster, kaum dass die Geschäfte etwas schlechter laufen. Auch dafür lieferte BASF-Chef Brudermüller vorige Woche ein Beispiel, als er einen flexibleren Arbeitsmarkt einforderte. Noch flexibler? Schon jetzt können Jahre vergehen, bis beispielsweise ein fleißiger Leiharbeiter über eine befristete endlich in eine unbefristete Anstellung rutscht und damit in soziale Sicherheit.

Im Übrigen: Wenn Wirtschaftslobbyisten nach Staat und Politik rufen, kaum dass ein Wirtschaftsboom etwas abflaut, riecht es nicht selten streng nach Ablenkungsmanöver. Auch bei Brudermüller. Der Wert einer BASF-Aktie ist binnen eines Jahres von fast 81 auf zuletzt 58 Euro gesunken. Ganz ohne Zutun der Politik.

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