Kommentar:Mehr als eine Eintagsfliege

Insekten als Nahrung: Was sich heute nur wenige Konsumenten vorstellen können, ist ein Wachstumsmarkt der Zukunft. Aber noch fehlen die Investoren. Das hat gute Gründe.

Von Silvia Liebrich

Was den meisten Konsumenten in Deutschland heute einen kalten Schauer über den Rücken jagt, könnte vielen schon in zehn, zwanzig Jahren völlig normal erscheinen: Insekten aller Art als regelmäßiger Bestandteil der Ernährung, etwa als Zutat in Pasta, Energieriegeln, Keksen und anderen Fertigprodukten. Würmer, Heuschrecken und Käfer gelten als umwelt- und klimafreundlicher Ersatz für Fleisch. Und sie stellen eine Proteinquelle dar, die zudem noch deutlich günstiger ist als tierisches Eiweiß.

Für die Ernährung von Menschen und Tieren ist Eiweiß ein unerlässlicher Baustein. Insekten können hier in Zukunft eine entscheidende Rolle spielen, weil für ihre Zucht relativ wenig Ressourcen eingesetzt werden müssen. Um etwa ein Kilogramm Mehlwürmer zu bekommen, braucht es nur zwei Kilo Futter und drei Liter Wasser. Zum Vergleich: für ein Kilogramm Rindfleisch sind 13 Kilo Futter und 15 000 Liter Wasser nötig. Insektenprotein kann dazu beitragen, den Fleischbedarf zu senken - und das ist gut fürs Klima. Denn bei der Erzeugung entstehen deutlich weniger Treibhausgase - eine wichtige Stellschraube angesichts der Tatsache, dass gut 15 Prozent der globalen Emissionen mit der Fleischproduktion in Verbindung stehen.

Bislang investieren nur wenige Unternehmen. Die Politik kann das ändern

Man muss also kein Hellseher sein, um zu erkennen, dass sich das Geschäft mit Insekten zu einem gewaltigen Wachstumsmarkt entwickeln dürfte. Schon jetzt stehen Käfer, Raupen und andere Krabbler bei zwei Milliarden Menschen mehr oder weniger regelmäßig auf dem Speisezettel. Laut Welternährungsorganisation FAO wird es ohne Insekten kaum gelingen, die wachsende Bevölkerung rund um den Globus ausreichend zu ernähren. Als Tierfutter für Hühner, Schweine und Rinder könnten Insekten ebenfalls eine unverzichtbare Rolle spielen.

Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Bislang fehlen in der Europäischen Union wichtige Voraussetzungen für einen solchen Insektenboom. Obwohl weltweit 1900 Arten von Insekten und Würmern bedenkenlos von Menschen verzehrt werden können, lässt das EU-Regelwerk nur vier Arten - Mehlwürmer, Buffalowürmer, Hausgrillen und die Wanderheuschrecke - als Lebensmittel zu. Grundlage dafür ist eine Verordnung zu "neuartigen Lebensmitteln", die erst seit zwei Jahren in Kraft ist. Seitdem ist der Verkauf von Insekten und daraus hergestellten Produkten für Hersteller zwar einfacher, doch die Grenzen sind eng gesteckt.

So dürfen Lebensmittelabfälle nicht einfach als Futter für Insekten genutzt werden. Damit wird die große Chance vertan, all das sinnvoll zu nutzen, was in Supermärkten, Bäckereien, Haushalten oder in der Landwirtschaft achtlos im Müll landet. Sicher ist es zugleich richtig und wichtig, dass auch Futter für Insekten hygienischen Standards entsprechen muss. Ein Konflikt, der sich mit Hilfe von Forschung und einer weitsichtigen Regulierung durchaus lösen ließe. Eine weitere Hürde: Insektenmehl ist als Futter in der industriellen Tierhaltung bislang nicht erlaubt, mit Ausnahme von Fischen in Aquakulturen. Hintergrund dieses Verbots ist eine zwei Jahrzehnte alte Vorgabe zum Schutz vor dem BSE-Erreger, der für Menschen lebensgefährlich sein kann. Eine Gefahr, die in Europa inzwischen jedoch als gebannt gilt.

All dies hemmt den Vertrieb von Insektenprodukten und damit auch das Entstehen einer Wertschöpfungskette. Diese Hürden müssen von der Politik beseitigt werden, erst dann wird der Markt für große Hersteller interessant. Zugleich gibt es Nachholbedarf bei der Risikoeinschätzung. So muss wissenschaftlich geklärt werden, welche Folgen es für die Umwelt haben kann, wenn Insekten in Massen gehalten werden oder gar entkommen.

Bislang ist die Zucht und Verarbeitung nur ein Nischenmarkt. Große Insektenfarmen sucht man hierzulande vergebens. Vorreiterunternehmen, darunter Startups, sitzen vor allem in den Niederlanden und Belgien, wo es in der Bevölkerung grundsätzlich weniger Vorbehalte gegen Insektennahrung gibt. Dabei sind die Technologien für Zucht und Verarbeitung bereits weit entwickelt. Es gibt Anlagen, die von der Zucht bis zum fertigen Endprodukt vollautomatisch arbeiten. Einige wenige Maschinenbauer entwickeln bereits geeignete Anlagen für eine Lebensmittelproduktion im industriellen Maßstab.

Sicher ist: Insekten als Nahrung, das ist kein Trend, der einfach so wieder verschwinden wird. Sie sind ein Wirtschaftsfaktor der Zukunft. Es ist an der Zeit, sich ernsthaft damit zu befassen. Das gilt nicht nur für Politik, Forschung und Unternehmen, sondern auch für Konsumenten.

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