Kommentar:Leere Versprechen

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Modefirmen werben immer öfter mit "nachhaltigen" Produkten. Doch davon haben die Arbeiter in den Fabriken in Niedriglohnländern meist nichts. Die Kunden stört das kaum. Deshalb ist an der Zeit, dass die Politik eingreift.

Von Caspar Dohmen

Wer sich einkleiden will, findet in diesen Tagen ein T-Shirt für 9,90 Euro im Angebot eines großen deutschen Modeunternehmens, welches als nachhaltig beworben wird. Wer zugreift und dabei ein gutes Gewissen hat, irrt jedoch gewaltig. Ein Blick in die Produktangaben zeigt zwar, dass Biobaumwolle verarbeitet worden ist, was zweifellos besser für die Umwelt ist als die konventionelle Baumwolle. Allerdings bedeutet dies nicht, dass die Arbeiter fair entlohnt worden wären.

Bei der Verarbeitung von Biobaumwolle mögen Mode- und Handelsfirmen große Fortschritte gemacht haben, was vor allem daran liegt, dass Verbraucher darauf zunehmend Wert legen, aus Gründen des Umweltschutzes oder des eigenen gesundheitlichen Wohlbefindens. Ziemlich egal sind den meisten Unternehmen und vielen Verbrauchern in Deutschland jedoch bis heute die sozialen Bedingungen bei der Herstellung von Textilien.

Das Problem der Modeindustrie sind ignorante Kunden und die unübersichtliche Fertigung

Und die sind weiterhin oft mies, aller Nachhaltigswerbung zum Trotz. Anders lassen sich die Ergebnisse einer aktuellen Umfrage der "Kampagne für saubere Kleidung" nicht interpretieren: 45 von 47 befragten Unternehmen präsentierten der von den christlichen Kirchen und Gewerkschaften unterstützten Initiative keinerlei Belege dafür, dass sie Näherinnen, Färbern, Spinnern oder Baumwollbauern entlang der Lieferkette einen Existenzlohn zahlen. Dazu zählen Konzerne wie Adidas, Amazon, C&A, Esprit, Gap, H&M, Inditex (Zara), die Otto Group oder Primark und Puma. Ein Existenzlohn reicht für die grundlegenden Bedürfnisse einer vierköpfigen Familie bei Nahrung, Wohnen, Gesundheit und Bildung der Kinder. Helfen würde dieser Lohn vielen, in der globalen Textilindustrie direkt arbeiten 75 Millionen Menschen und noch einmal ähnlich viele bauen Baumwolle an oder verarbeiten sie.

Ein Grund für die soziale Ignoranz liegt auch in der Verschleierung der unregulierten Warenströme. Seit den 1980er-Jahren hat sich auch in der Textilindustrie ein Geschäftsmodell durchgesetzt, bei der Firmen die Wertschöpfung ihrer Produkte in unterschiedliche Schritte gliedern. Fast alle Modemarken konzentrierten sich heute auf Design und Vermarktung von Mode - das sind die lukrativsten Felder. Die Produktion haben sie mehr und mehr in Niedriglohnländer verlagert. Der Anteil der dortigen Produzenten an der Wertschöpfung ist jedoch wesentlich geringer als der ihrer Auftraggeber. Das liegt an den ungleichen Machtverhältnissen zwischen beiden Akteursgruppen, die sich daraus ergeben, dass einer kleinen Zahl großer und bekannter Auftraggeber eine Vielzahl namenloser Produzenten gegenübersteht.

Bestes Beispiel ist Bangladesch. Nach dem tragischen Unglück von Rana Plaza mit 1136 Toten hat sich die Situation bei Sicherheit und Feuerschutz in den 4000 für den Export produzierenden Firmen deutlich verbessert, übrigens auch dank der Hilfe von Modeunternehmen aus Europa. Aber die Gewinnmargen dort sind trotz besserer Fabriken weiter unter Druck, und damit haben die Firmen auch nur geringe Spielräume für Lohnerhöhungen. Dabei würden 50 Cent für ein T-Shirt schon reichen.

Fragt man die Auftraggeber, also die großen Modefirmen, warum sie dieses Geld nicht direkt ihren Zulieferern zahlen, kommt gewöhnlich der Einwand, das ginge nicht, weil dort auch Konkurrenten fertigten. Das ist richtig. Aber ein Unternehmen, dass sich für Existenzlöhne ausspricht, müsste diesen Wettbewerbsnachteil eben in Kauf nehmen. Überhaupt müssen Unternehmen ein Stück der grenzenlosen Flexibilität aufgeben, die sie in der heutigen globalen Wirtschaft haben, wenn sich für die Arbeiter etwas zum Besseren verändern soll.

Viel wäre gewonnen, wenn sie etwa ihre Zulieferer möglichst komplett auslasten und einen fixen Betrag für die Beschäftigten je Kleidungsstück reservieren würden. Aber dazu kommt es bislang kaum. Selbst kleine Initiativen wie die des fairen Handels, der eine Lieferkette mit Existenzlöhnen aufbauen will, verkümmern mangels Nachfrage durch Unternehmen. Und selbst die lobenswerte Initiative ACT, aufgesetzt von einigen Konzernen mit dem Ziel, Branchentarifverhandlungen in den Produktionsländern einzuführen und auf diese Weise höhere Löhne zu erreichen, kommt nicht vom Fleck, weil nicht genügend Unternehmen mitmachen.

Aus heutiger Sicht spricht insofern alles dafür, dass die Politik handeln muss. Sie muss dafür sorgen, dass die Beschäftigten, die unsere Bekleidung herstellen, von ihrer Arbeit leben können.

© SZ vom 20.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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