Kommentar:Landfrust

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Beliebte Großstädte quillen über, auf dem Land dagegen gibt es immer mehr unbewohnte Dorfkerne: Das ist eine Herausforderung, nicht nur für die Politik.

Von Michael Kuntz

Es riecht würzig. Auf dem Land ist es günstiger und grüner, kühler und gesünder. Ungefährlicher ist es auch. Dennoch zieht es alle in die großen Städte mit ihren versiegelten Flächen, neben denen sich vor allem Cotoneaster wacker hält, der robuste Bodendecker. Aber nicht alles ist schlechter als auf dem Land: Bessere Bildungsangebote, eine höhere Ärztedichte, Kindergärten, attraktive Freizeitangebote - vieles spricht fürs Stadtleben, und man sieht es ja: Die Metropolen wachsen, das Land entvölkert sich. Bei allen Vor- und Nachteilen: Gejammert wird allerorten, in der Stadt über die teure Lebenshaltung, auf dem Land über die schrumpfenden Gemeinschaften.

Leerer, älter, ärmer - die Entwicklung in vielen deutschen Dörfern sieht düster aus. Das ist so nicht nur in Ostdeutschland, auch in immer mehr Regionen der alten Bundesländer. Wo weniger Menschen leben, gibt es weniger Infrastruktur. Diese Abwärtsspirale dreht sich immer schneller. Sie zu stoppen, ist zunächst eine Aufgabe der Politik. Bund, Land und Kommunen haben den Auftrag des Grundgesetzes zu erfüllen und ungeachtet von Partikularinteressen für gleichwertige Lebensverhältnisse in Stadt und Land zu sorgen. Das bedeutet: Es muss nicht überall perfekt aussehen wie in Oberbayern, gemeint ist, dass eine gewisse Infrastruktur geschaffen und instand gehalten werden muss, auf deren Basis ein Zusammenleben von Menschen erst möglich ist.

Früher zählte man dazu Strom, Wasser, Entwässerung, Kindergärten, Schulen, Krankenhäuser, Straßen, Nahverkehr und Ähnliches. Heute zählt in einer global wirtschaftenden Welt zweifellos die Versorgung mit einem schnellen Internet-Zugang zu dieser Infrastruktur. Hier hat Deutschland einen erheblichen Nachholbedarf, nicht nur auf dem flachen Land sondern auch bereits in den Randzonen der Ballungsgebiete.

Zur Zögerlichkeit in Sachen Internet kommt, dass die Politik ein Feld voller sozialer Gestaltungsmöglichkeiten aufgegeben hat. Sogar führende Sozialdemokraten zählen zu denen, die für Normalverdiener erschwinglichen Wohnraum in großem Umfang versilberten zugunsten einmaliger Einnahmen für öffentliche Haushalte. Frühere Sozialwohnungen in staatlichem oder quasi-staatlichem Besitz zählen heute zum Portefeuille privater Unternehmen, von denen einige sich nun sogar zweistelliger Renditen rühmen. Hier wirkt die parteienübergreifende Privatisierungseuphorie nach.

Die Wiederbelebung verlassener Dorfkerne ist nicht die Aufgabe des Staates allein

Mietpreisbremse und Maklergesetz können die Folgen dieser Entwicklung nicht stoppen, sie machen den Bau neuer Mietwohnungen eher unattraktiver. Während einige Großstädte überquellen, stehen auf dem Land viele Immobilien leer. Hier wollen bislang zu wenige hin.

Doch vermag es kaum die Politik allein, aus dem vor allem bei jungen Leuten verbreiteten Landfrust wieder eine Art Lust aufs Landleben zu machen. Die nämlich gibt es durchaus, wie sich am Erfolg der Zeitschrift Landlust beobachten lässt. Sie konzentriert sich auf die schönen Dinge des Lebens und ihre Auflage ist heute höher ist als die des einst die deutsche Gesellschaft prägenden Nachrichtenmagazins Spiegel.

Natürlich rechtfertigt einiges auch den Landfrust des jungen Großstädters, der angeblich lieber Fahrrad als Auto fährt, sich als Angehöriger der Generation Praktikum aber oft sowieso nur Carsharing leisten kann - was es so meist nur in Städten gibt. Das Argument gegen das Leben im ökonomischen Niemandsland lautet häufig, erst brauche es genügend attraktive Arbeitsplätze, bevor ein Umzug in eine ländliche Gegend zumutbar sei.

Das Argument ist allerdings irgendwie von gestern. Es könnte bald überholt werden. Dann nämlich, wenn - wie absehbar - die Arbeitskräfte knapp werden und Unternehmen sich um Mitarbeiter mehr bemühen müssen als heute. Da kann auch auf einmal ein Standort in der Provinz attraktiv werden, wo das Leben generell erschwinglicher ist, entschleunigter als unter entnervten Großstädtern und im übrigen der nächste Flughafen als Tor zur weiten Welt nie weit entfernt liegt. Das könnte dann auch zu einer neuen Politik führen: Nicht neuer Wohnraum in ohnehin stark nachgefragten Innenstädten müsste subventioniert werden, sondern eher die Wiederbelebung verlassener Dorfkerne.

Weniger Landfrust, wieder mehr Lust aufs Land, dieses Lebensgefühl lässt sich nicht verordnen und ist vom Staat nur bedingt zu steuern. Es erfordert ein Umdenken bei vielen einzelnen Menschen. Und die für manch verwöhnte Sprösslinge der Erbengeneration unbequeme Erkenntnis: Ein Studienplatz in Freiburg begründet kein Anrecht auf lebenslanges Wohnen in der Sonnenecke Deutschlands.

© SZ vom 25.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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