Rente mit 70:Länger arbeiten ist eine gute Idee - aber nicht für alle

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Für manchen Bürger klingt die Rente mit 70 oder noch später wie die nächste Zumutung. Doch sie kann viele Probleme in Deutschland lösen - wenn es sozialverträgliche Ausnahmen gibt.

Kommentar von Alexander Hagelüken

Es hört sich für manchen Bürger wie die nächste Zumutung an: Rente mit 70 - das kann doch nur Ausbeutung sein? Kein Wunder, dass sich im Wahlkampf nicht mal die FDP diese Forderung zu eigen machen will. Dabei haben jene Ökonomen, die den späteren Ruhestand vorantreiben, durchaus recht: Es gibt gute Gründe dafür, dass die Deutschen in absehbarer Zeit länger arbeiten. Wird das Ganze richtig ausgestaltet, wird es auch kein sozialpolitischer Kahlschlag.

Die Daten sind eindeutig: Die Deutschen leben (erfreulicherweise) länger und bekommen weniger Kinder. Diese Kombination überfordert unser Rentensystem, denn es baut ja darauf auf, dass die Arbeitnehmer die Altersbezüge der Senioren finanzieren. Seit 1957 das heutige System eingeführt wurde, hat sich die Zeit, die jemand Rente bezieht, auf 20 Jahre verdoppelt. Kamen vor einem Vierteljahrhundert vier Bürger im typischen Arbeitsalter auf einen Senioren, dürften es in einem Vierteljahrhundert weniger als zwei sein.

Das abrupte Aus mit 65 raubt manchen schmerzlich viel Lebenssinn

Auf diese Entwicklungen ist das System trotz der bisherigen Kürzungen der Altersbezüge und der Verlängerung der Arbeitszeit (wie Rente mit 67) nur unzureichend vorbereitet. Deshalb sind Änderungen nötig. Zwar nicht sofort, aber bald: In den nächsten 20 Jahren scheiden die geburtenstarken Jahrgänge, die Mitte der 50er bis Ende der 60er-Jahre auf die Welt kamen, aus dem Arbeitsleben aus. Wenn die Deutschen künftig nicht länger arbeiten, kommt es zu anderen Belastungen.

Dieses Dilemma lässt sich an den Vorschlägen der SPD erkennen, die sich immerhin, anders als die Union, mit der näheren Zukunft beschäftigt. Die SPD will die Rente im Verhältnis zu den Löhnen nicht weiter sinken lassen und keine längere Arbeitszeit. Deshalb dürften bei ihr die Beiträge der Arbeitnehmer an die Rentenkasse steigen und mehr staatliches Geld ins System fließen - was zumindest teils über Steuern auch die Arbeitnehmer finanzieren.

Arbeiten die Deutschen nicht länger, wird es also zu anderen Belastungen der Arbeitnehmer kommen. Und die fallen spätestens mit dem Ruhestand der geburtenstarken Jahrgänge beträchtlich aus.

Der keineswegs marktliberale Ökonom Marcel Fratzscher bezeichnet das System Rente ohne längeres Arbeiten als "unfinanzierbar". Das ist übertrieben, hat jedoch einen wahren Kern: Es wird für die Arbeitnehmer zumindest teuer. Das spricht dafür, der demografischen Herausforderung auch durch längeres Arbeiten zu begegnen.

Arbeit ist nicht gleich Arbeit, und Mensch nicht gleich Mensch

Diese Perspektive ist übrigens für die Deutschen gar kein solcher Horror, wie die Angst der Parteien im Wahlkampf suggeriert. In Umfragen erklären immer wieder viele Bürger, sie würden gerne später in Ruhestand gehen. Das abrupte Aus mit 65 raubt manchen schmerzlich viel Lebenssinn. Ein paar Jahre noch im Beruf, vielleicht mit weniger Stunden, das erscheint ihnen erstrebenswert. Und gesundheitlich sind viele dazu ja besser in der Lage als früher. Erfahrene Ärzte raten, dass eine gewisse Fortsetzung der Tätigkeit das Leben am Ende sogar verlängern kann.

Ein langsames Verschieben der Rente mit 67 nach hinten könnte sich also mit den Bedürfnissen vieler Deutscher treffen. Damit das Ganze für manche von ihnen aber nicht doch zur Zumutung wird, muss die Politik eine Unterscheidung beachten: Arbeit ist nicht gleich Arbeit, und Mensch nicht gleich Mensch.

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Manager, Anwälte oder Ingenieure, deren Beruf hohe Freiheitsgrade bietet, möchten häufig länger tätig sein. Wer dagegen körperlich schwer schuftet, möchte und wird auch künftig nicht bis 70 durchhalten. Psychische Belastungen sind genauso ein Hindernis. Je stärker ein Beschäftigter nur Orders empfängt und nicht selbst mitentscheidet, desto mehr laugt ihn seine Tätigkeit aus.

Wenn sich das Arbeitsalter also Richtung 70 bewegt, müssen jene mit akzeptablen Abschlägen vorzeitig in Ruhestand gehen können, die nicht mehr wollen. Und es muss Ausnahmen für jene geben, die gar nicht mehr können. In den vergangenen Jahren hat die Politik aber eher andere Akzente gesetzt. So schaffte sie die staatliche Rente für Berufsunfähigkeit quasi ab. Wer nicht mehr in seinem Beruf tätig sein kann, muss zur Not Hilfsarbeiter werden, statt Altersbezüge zu bekommen.

Je mehr die Politik nun die Arbeitszeit ausdehnt, desto mehr muss sie die Unterschiede beachten, die in der reichen Bundesrepublik klaffen. Jene 20 Prozent Deutschen mit den niedrigsten Einkommen haben im Vergleich zum Fünftel der Topverdiener 14 Lebensjahre in guter Gesundheit weniger.

© SZ vom 07.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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