Süddeutsche Zeitung

Kommentar:Kampf der Sklaverei

In asiatischen Nähbetrieben und afrikanischen Bergminen herrschen oft üble Arbeitsbedingungen. Sie bessern sich nur, wenn Deutschland Druck macht.

Von Caspar Dohmen

David gegen Goliath - solche Geschichten faszinieren die Menschen bis heute. Deshalb dürfen die vier Opfer eines Fabrikunglücks in Pakistan viel Zuspruch erwarten. Sie verklagen den Textildiscounter Kik vor dem Landgericht Dortmund auf Schmerzensgeld. Noch haben die Richter nicht geurteilt. Allerdings spricht vieles dafür, dass Kik ungeschoren davonkommt.

Kläger, Anwälte und deren Unterstützer mögen gute Argumente für ihr Anliegen haben, aber derzeit ist es praktisch unmöglich, jene zur Verantwortung zu ziehen, die von gravierenden sozialen und ökologischen Missständen in den globalen Lieferketten profitieren. Viele Arbeiter in den asiatischen Nähbetrieben verdienen weniger als hundert Dollar im Monat, trotz Überstunden, Nacht- und Wochenendarbeit. Oft haben sie keine Arbeitsverträge oder sind auf Gedeih und Verderb von Leiharbeitsfirmen abhängig; häufig dürfen sie sich nicht einmal organisieren. Regelmäßig fehlen auch Sicherheitsstandards. Arbeiter sägen sich Finger ab, weil sie ohne metallene Schutzhandschuhe Stoffberge durchschneiden. Hunderte kommen ums Leben, weil schlampig gebaute Fabriken einstürzen.

Allein 260 Menschen starben beim Brand des Kik-Zulieferers Ali Enterprises im September 2012. Die Tengelmann-Tochter hatte den Betrieb zeitweise zu 75 Prozent ausgelastet, doch die Fabrik gehörte nicht dem Discounter. Das deutsche Unternehmen machte zwar Vorgaben zur Arbeits- und Gebäudesicherheit, aber sie waren wie üblich freiwilliger Natur und damit wohl unverbindlich.

Jeden Tag sterben im Durchschnitt 6400 Menschen auf der Welt durch einen Arbeitsunfall oder eine berufsbedingte Krankheit. Damit kommen bei der Arbeit mehr Menschen ums Leben als durch Krieg und Terror. Menschen machen natürlich Fehler, schätzen eine Situation falsch ein, oder es geschehen Katastrophen, die niemand aufhalten kann. Ein Großteil der Arbeitsunfälle könnte aber verhindert werden.

Welcher Schutz möglich ist, zeigt ein Blick nach Deutschland. Von 1958 bis 2014 sank die Zahl der Arbeitsunfälle je 1000 Vollzeitbeschäftigte von jährlich 141 auf 22. Solch sichere Arbeitsbedingungen sind das Resultat findiger Ingenieure, politischer Vorgaben, von Kontrollen und Anreizmechanismen. Natürlich muss es das Ziel sein, dass sich alle Länder entsprechend um das Wohlergehen ihrer Bürger kümmern. Häufig geschieht dies jedoch nur auf dem Papier, weil nationale Eliten kein Interesse daran haben oder Länder fürchten, dass internationale Firmen Aufträge verlagern könnten, wenn sie mit Sozial- und Umweltschutzvorgaben ernst machen.

Geht es um verbindliche Regeln, zögern auch deutsche Politiker

Aus dieser Situation schlagen Konzerne Kapital. Zulieferer, die einen Konzern unter Druck setzen, wie kürzlich bei Volkswagen geschehen, sind die große Ausnahme. Beim Geschäft mit der Mode können die Auftraggeber zwischen Tausenden Zulieferern auswählen. Da ist es keine Frage, wer am längeren Hebel sitzt. Ohne Druck der Regierungen aus den Heimatländern der Konzerne - also vor allem aus Europa und den USA - werden sich die Verhältnisse nicht ändern. Deutschland, dessen Wohlstand wesentlich auf der Einbindung in die Weltwirtschaft beruht, hat hier eine besondere Verantwortung. Geht es jedoch darum, verbindliche Regeln zu schaffen, zögern auch deutsche Politiker. Erleben kann man dies gerade bei der Umsetzung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte in einen nationalen Aktionsplan. Andere Staaten sind mutiger. Zwei Beispiele: Die US-Regierung schreibt mit dem Dodd-Frank-Act allen an der Börse notierten Unternehmen vor, offenzulegen, ob ihre Produkte Mineralien aus dubiosen Bergwerken enthalten. Anfangs war der Widerstand der Wirtschaft groß, heute äußern sich viele Unternehmen positiv. Die Regelung hilft Afrika, wo es mittlerweile rund um die großen Seen über 140 saubere Minen gibt.

Oder die britische Regierung: Sie reagierte auf Todesfälle von Zwangsarbeitern mit der "Modern Slavery Bill". Große Unternehmen müssen nun über die Risiken moderner Sklaverei in ihrem Unternehmen sowie in der Lieferkette berichten und darlegen, was sie dagegen unternommen haben. So viel Mut wünscht man sich auch von der Bundesregierung. Denn in der realen Wirtschaft brauchen die Davids die Unterstützung des Staates, damit sie ihre verbrieften Rechte gegen die Goliaths durchsetzen können.

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SZ vom 01.09.2016
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