Süddeutsche Zeitung

Kommentar:Industriepolitik von gestern

Lesezeit: 2 min

Die Bundesländer kämpfen für ihre Stahlkonzerne, das ist gut. Schlecht ist, dass viele ihrer Ideen von gestern sind. Wie der Staat stattdessen helfen sollte.

Von Benedikt Müller

Es ist das größtmögliche Bündnis, das am Montag zusammenkam: Bei einem nationalen Stahlgipfel diskutierten Minister und Manager, Gewerkschafter und Lobbyisten über die Zukunft der Branche mit gut 80 000 Beschäftigten hierzulande. Die Stahlhersteller leiden unter billiger Konkurrenz aus Asien, nun schaden zudem höhere Zölle in Amerika und teurere CO₂-Verschmutzungsrechte dem Geschäft. Und die Politik muss entscheiden, wie viel Schutz sie der heimischen Industrie gewähren will in einer zunehmend protektionistischen Welt.

Gut ist, dass die betroffenen Bundesländer nun mit vielen Vorschlägen vorpreschen, wie die Politik der Branche helfen könnte. Schlecht ist, dass diese "Leitplanken der Stahlländer" zu viel Industriepolitik von gestern enthalten: Schutz vor strengeren Umweltauflagen, Entschädigungen für teuren Strom, Schutz vor Importen aus dem Ausland. Gut ist deshalb wiederum, dass Bund und EU nicht an die Ideen der Länder gebunden sind. Sie sollten vor allem jene aufgreifen, die hiesigen Herstellern nachhaltige Vorteile im weltweiten Wettbewerb verschaffen können.

Entschädigungen und Schutzzölle könnten Hersteller von Innovationen abhalten

Dazu gehört sicher nicht die Forderung, dass der EU-Emissionshandel der heimischen Industrie mehr CO₂-Verschmutzungsrechte kostenlos zuteilen sollte. Denn es ist richtig, dass die Politik den Ausstoß von Treibhausgasen beschränkt - und dass Konzerne mehr zahlen müssen, wenn sie CO₂ ausstoßen wollen. Die teureren Zertifikate haben den Sinn, dass Firmen die weltweiten Kollateralschäden klimaschädlicher Emissionen in ihr Kalkül einbeziehen müssen.

Freilich wäre es fair, wenn der Ausstoß von Treibhausgasen weltweit einen signifikanten Preis hätte, wenn mithin auch die Kosten asiatischer Konkurrenten entsprechend steigen würden. Doch damit die Welt ihre Klimaziele erreichen kann, braucht es nun einmal Vorreiter. In Europa müssen eben nicht nur Kohlekraftwerke und Dieselautos ihren Beitrag leisten, sondern auch die Landwirtschaft, die Immobilienbranche und die Stahlindustrie. Die Politik sollte den Emissionshandel deshalb nicht zugunsten einzelner Branchen manipulieren.

Es stimmt allerdings, dass teure CO₂-Zertifikate die Schwerindustrie zunächst teuer zu stehen kommen. Und dass sich die Massenproduktion von Stahl zusehends nach Asien verlegt hat, während hiesige Hersteller an Bedeutung verloren: Wurde zur Jahrtausendwende noch jede zwanzigste Tonne Stahl weltweit in Deutschland gekocht, ist es heute noch jede vierzigste. Auch wenn der Marktpreis derzeit nicht mehr ganz so niedrig steht, weiß man daher in Duisburg, Salzgitter und Dillingen, dass früher oder später das nächste Sparprogramm droht. Thyssenkrupp etwa will im Zuge der Stahlfusion mit Tata 2000 Stellen streichen.

Entschädigungen und Schutzzölle drohen die Hersteller von Innovationen abzuhalten

Dennoch sollten Industriestaaten nicht mit einem protektionistischen Teufelskreis auf die weltweite Konkurrenz reagieren. Denn höhere Zölle, wie sie die USA seit Frühjahr auf Stahl erheben, oder eine Entschädigung für steigende Stromkosten, wie sie die Bundesländer nun fordern, drohen heimische Hersteller nur von Investitionen in mehr Effizienz und Umweltschutz abzuhalten. Wer seine Industrie zu stark abschottet, droht sie stets auch von den Techniken der Zukunft abzuschotten.

Deshalb haben die Stahlländer recht, wenn sie fordern, dass Bund und EU Innovationen fördern sollten. Vielversprechend ist etwa, dass Thyssenkrupp daran forscht, Hüttengase von Stahlwerken aufzufangen, um daraus Dünger oder Treibstoff herzustellen. Spannend sind auch Versuche von Salzgitter oder Tata, in den Hochöfen Wasserstoff statt Kokskohle einzusetzen - insbesondere, wenn der Wasserstoff mithilfe von überschüssigem Ökostrom gewonnen wird. Wenn die Unternehmen derlei Innovationen einst in industriellem Maßstab umsetzen, kann sich ihnen ein Milliardenmarkt öffnen. Übrigens werden umweltfreundliche Alternativen umso wettbewerbsfähiger, je teurer CO₂-Verschmutzungsrechte sind.

Erfolgversprechend ist auch, dass sich Hersteller auf besonders feste oder leichte Stahlsorten spezialisieren, die gerade die Autoindustrie nachfragt. Zwar benötigen künftig Elektroautos weniger stählerne Motorteile. Wichtiger werden jedoch Materialien, die leicht und dennoch robust sind. Denn je weniger ein Elektroauto wiegt, desto länger reicht seine Batterie. Das ist eine Chance für hochfesten Stahl.

In diesem Sinne darf nachhaltige Industriepolitik nicht nur bewahren, worauf eine Volkswirtschaft in vorigen Jahrzehnten stolz war. Sie sollte heute fördern, was das Zeug zur Erfolgsgeschichte in kommenden Jahrzehnten hat.

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SZ vom 23.10.2018
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