Kommentar:Im Herzen Europäer

Der neue CDU-Chef Armin Laschet ist ein Signal der Hoffnung für die Europäische Union. Aber beim Klimaschutz hakt es.

Von Cerstin Gammelin

Gut und schlecht zugleich, so stellt sich die Wahl des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Armin Laschet zum CDU-Vorsitzenden dar. Gemessen an den riesigen Aufgaben, die zu bewältigen sind, wie die Überwindung der Pandemie, der klimaneutrale Umbau der Wirtschaft, die Steuerung der Digitalisierung sowie der Zusammenhalt in Europa, hat Laschet bisher lediglich auf einem dieser Gebiete gepunktet: in Europa.

Die gute Nachricht seiner Wahl ist, dass jemand, der in Aachen geboren und dort seit ganzes Leben lang nicht wirklich weggegangen ist, keine Lehrstunden in Europapolitik braucht. Er weiß, worauf es ankommt, um inhomogene Gemeinschaften in widrigen Zeiten zusammenzuhalten. Was ihn, nebenbei bemerkt, von der jungen CDU-Vorsitzenden Angela Merkel unterscheidet, die das mühevoll lernen musste. Laschet ist im Herzen Europäer, was er eindrucksvoll in der frühen Phase der Pandemie bewiesen hat. Bemerkenswert stabil hat er in einer Zeit, als reihenweise nationale Grenzen hochgezogen worden, darauf bestanden, die Grenzen zu Belgien und den Niederlanden offen zu halten. Dichtzumachen wie Donald Trump oder einige EU-Staaten, das sei falsch, beharrte er. Das trug ihm heftige Kritik ein damals - aber Laschet hielt stand.

Was das gemeinsame Wirtschaften und den Euro als gemeinsame Währung betrifft, ist der neue CDU-Chef ein Signal der Hoffnung und Stabilität für die Europäische Union. Laschet hat früh dazu aufgefordert, in Europa Kapazitäten zu bündeln und Geld zusammenzulegen, damit alle EU-Staaten einigermaßen vergleichbare Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie auflegen konnten. Er erinnerte dabei sogar an den früheren Präsidenten der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, und dessen legendären Satz, mit dem er 2012 den Euro rettete: Whatever it takes, also alles zu tun, was nötig ist.

Laschet vereinigt zwei Eigenschaften, die die Gemeinschaft dringend braucht

In dieses Selbstverständnis passt, dass sich die EU nun erstmals in großem Stil verschulden wird, um die ohnehin zu großen fiskalischen wie emotionalen Gräben in Europa in der Pandemie nicht noch zu vertiefen. Und schaut man sich an, wie lang die Koalition in NRW die eigenen Fristen zur Abtragung der Schulden gestreckt hat, scheint auch das klar: mit Laschet wird es kein Zurück in das finstere Mittelalter der Austeritätspolitik geben. Laschet will Schulden durch Wachstum abbauen. Der neue CDU-Chef vereinigt zwei Eigenschaften, die die Gemeinschaft dringend braucht. Er weiß um ihren Wert für Frieden und Demokratie. Und er kann Streithähne zusammenführen, Fliehkräfte umwandeln in Kompromisse.

Im wirtschaftspolitischen Vergleich der Bundesländer ist Nordrhein-Westfalen solides Mittelmaß, etwa wenn man die Wertschöpfung pro Einwohner betrachtet. Etwas schlechter als der Durchschnitt, aber deutlich schlechter als Baden-Württemberg oder Bayern, die Länder in vergleichbarer Größe. Eine Meisterleistung ist das nicht, selbst wenn man den Strukturwandel bei der Kohle einbezieht. Der Ministerpräsident in NRW ist konservativ bis unauffällig geblieben. Bürokratieabbau ja, Steuererhöhungen nein - das sind traditionelle Positionen der Union. Damit mag er in NRW gerade so durchkommen. Um die großen Aufgaben zu lösen, reicht es nicht.

In diesem Sinne wird der Talisman, der ihm am Samstag bei der Wahl zum CDU-Vorsitzenden die Herzen vieler Delegierten zufliegen ließ, in Zukunft eher hinderlich sein. Die Erkennungsmarke der Bergarbeiter in der Kohle ist ein kostbares Erinnerungsstück. Zukunft ist sie nicht. So, wie sie auf dem Parteitag zum Symbol für Vertrauen unter Tage und jetzt in der CDU stilisiert wurde, so würde sie etwa beim Klimaschutz symbolisieren, dass Laschet ein Gefolgsmann eines längst überholten Widerspruchs ist: ökologisch umbauen ja, aber nur solange es der Industrie nicht schadet. Man steige ja aus der Kohle aus, jetzt sollten die Grünen mal die Kirche im Dorfe lassen, merkte Laschet kürzlich in einer Diskussionsrunde an.

Die schlechte Nachricht also ist, dass Laschet beim Klimaschutz noch in der Klischeekiste vergangener Jahrzehnte sitzt. Es ist ja richtig, traditionelle Industrien zu erhalten, die Schwerindustrie, Stahlwerke, Alu-Hütten, Chemie, Maschinenbau. Daraus zu schlussfolgern, dass ein radikaler ökologischer Schwenk unmöglich ist und alles bleiben muss, wie es ist, ist allerdings falsch. Im Gegenteil, Politik besteht ja darin, mehrheitlich Maßnahmen zu ergreifen, um Bürgern ein sicheres Leben in gesunder Umgebung zu ermöglichen. Darin eingeschlossen ist der Auftrag zu gestalten, zu regulieren, zu modernisieren. An dieser Aufgabe muss sich der neue CDU-Chef messen lassen.

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