Süddeutsche Zeitung

EZB:Draghi enteignet deutsche Sparer? Unsinn!

Der Leitzins bleibt bei 0,0 Prozent. EZB-Chef Mario Draghi hat Fehler gemacht, aber er traut sich was. Und das ist gut so.

Kommentar von Markus Zydra

Mario Draghi ist Deutschlands prominentester Sündenbock. Schon vor Jahren nannte man den EZB-Präsidenten einen Falschmünzer. Jetzt soll er auch Mitschuld tragen, dass die rechtspopulistische AfD in Deutschland so viele Wählerstimmen erhält. Darüber hinaus, so der ständige Vorwurf, enteigne Draghi mit seiner Nullzins-Politik die deutschen Sparer. Die CSU fordert nun, der nächste EZB-Präsident müsse ein deutscher Finanzfachmann sein.

Dabei kann man sich ausmalen, in welchem Zustand die Euro-Zone wäre, wenn Draghi direkt nach Amtsantritt 2011 den Leitzins nicht gesenkt und die "Londoner Rede" 2012 gehalten hätte. Damals versprach er, alles Nötige zu tun, um den Euro zu retten. Alles Nötige, das heißt auch: Nullzinsen. Doch hätte Mario Draghi nicht so gehandelt, würden die Deutschen nun mit der D-Mark bezahlen. Danach mögen manche Kritiker trachten. Aber ein EZB-Präsident muss die Euro-Zone schützen - auch dann, wenn er einen deutschen Pass hätte.

Der Philosoph René Girard sagt: Eine Gesellschaft braucht den Sündenbock immer dann, wenn sie sich von einer Katastrophe bedroht fühlt. Ist es wirklich so schlimm in Deutschland?

Zinserträge sind kein deutsches Grundrecht

Der Vorwurf, die EZB enteigne mit ihrer Nullzinspolitik die deutschen Sparer, ist unsinnig. Man kann nur etwas enteignen, was einem anderen gehört und worauf er einen Rechtsanspruch hat. Zinserträge sind kein Grundrecht. Die Sparer haben keinen Anspruch darauf. Natürlich hat es in der Geschichte immer wieder Phasen gegeben, in denen die Leitzinsen deutlich höher lagen. Häufig paarte sich das allerdings mit hoher Inflation. Die Bürger verbuchten damals - real - auch wenig Zinsertrag. Das Problem war nur nicht so sichtbar. Damit soll nicht der Ernst der Lage beschönigt werden. Null- und Strafzinsen sind radikale und riskante Maßnahmen im Kampf gegen eine gefährliche Deflation. Doch die Frage ist, ob Draghi der richtige Adressat des Zorns ist. Auch die Macht der EZB ist begrenzt.

Die EZB hat die Funktion eines Türstehers, der Spekulanten draußen hält, die gegen den Euro wetten wollen. Draghi kann jedoch kein Wirtschaftswachstum erzeugen. Das muss von den Euro-Staaten kommen, und zwar durch eine vernünftige Wirtschafts- und Finanzpolitik.

Doch da macht jeder, was er will. Die Euro-Zone bleibt labil, solange man sich nicht auf den nächsten Schritt einigt: eine gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik für die Euro-Zone. Europa braucht mehr Integration, wenn die Währungsunion langfristig stabil wachsen soll. Doch danach sieht es nicht aus. Es wird weitergewurschtelt und an Draghi rumgemäkelt. Der EZB-Präsident ist vielerorts ein beliebter Sündenbock. Für die Deutschen macht er zu viel, für die Italiener dagegen zu wenig.

Draghi hat experimentiert - und das war gut so

Die Wirtschaftsgeschichte verläuft in Zyklen. Man darf davon ausgehen, dass die EZB die Leitzinsen wieder erhöht. Aber auch dann ist politischer Ärger programmiert, denn mit den steigenden Zinsen verteuert sich die Refinanzierung der Staatsschulden. Deutschlands schwarze Null wäre nach derzeitiger Rechnung passé, wenn der Bund plötzlich mehr Zinsen zahlen müsste. Auch die Immobilienkredite in Deutschland würden teurer. Einige Häuslebauer, die sich übernommen haben, müssten deshalb zusehen, wie ihre Immobilie zwangsversteigert würde. Wer nach hohen Sparzinsen ruft, sollte wissen, dass auch hier ein Preis anfällt.

Die EZB hat nun bei ihrer Ratssitzung entschieden, den Leitzins voerst bei 0,0 Prozent zu belassen. Das war so erwartet worden. Denn das beschlossene Paket soll erst einmal wirken.

Die EZB macht heute Dinge, die sie noch vor wenigen Jahren rundweg abgelehnt hätte. Draghi experimentiert, weil traditionelle Maßnahmen nicht so wirken, wie es die Wirtschaftswissenschaft erwarten würde. Der Italiener hat Fehler gemacht, aber das rechtfertigt nicht den herablassenden Umgang mit ihm in der deutschen Öffentlichkeit. Draghi zeigt Mut in einer schwierigen Situation. Warum zeigt die Bundesregierung nicht solchen Mut und macht mehr Europa wieder zum Thema?

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SZ vom 19.04.2016/vit
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