Kommentar:Hilfe für die Mittelschicht

Die Regierung achtet zu wenig auf die Mitte der Gesellschaft. Das macht die Populisten rechts außen stark. Es wird Zeit, die Masse der Deutschen von Steuern und Abgaben zu entlasten.

Von Alexander Hagelüken

Die Mitte der deutschen Gesellschaft ächzt. Die Globalisierung reduziert gut bezahlte Jobs in der Industrie, der Ersatz sind schlechter bezahlte bei Dienstleistern. Der lange Boom bescherte manchen zwar deutliche Lohnerhöhungen, vielen aber nicht. Jeder zweite Arbeitnehmer hat nicht mehr Geld als vor 20 Jahren. Die Abstiegsangst greift um sich, wovon rechte Populisten profitieren. In dieser Situation wäre es an der Regierung, die Mittelschicht besser zu stellen.

Die große Koalition versagt dabei. Sie verzettelt sich in einer Töpfchenpolitik, die Einzelgruppen bedient, am Ende aber verpufft. Hier ein Baukindergeld, da eine Mütterrente und so weiter. Manches davon lässt sich rechtfertigen, anderes kaum. Trotz dieses milliardenteuren Gewusels überwiegt bei Beschäftigten das Gefühl, ihnen bleibe von ihrer harten Arbeit nicht genug Geld übrig, um etwa eine Wohnung zu kaufen oder fürs Alter vorzusorgen.

Die Koalition lässt es wie die Vorgängerregierungen zu, dass die Mittelschicht zu stark mit Steuern und Abgaben belastet wird. International steht Deutschland hier schlecht da. Fast zwei Millionen Arbeitnehmer zahlen den Spitzensteuersatz auf Teile ihres Gehalts, obwohl dieses bei nur 5000 bis 7000 Euro liegt - brutto. Früher war dieser Toptarif für jene reserviert, die top verdienten: 1980 musste einer dafür das Fünffache des Durchschnittslohns nach Hause tragen. Heute verlangt der Fiskus schon den Spitzensatz, wenn jemand nur das 1,5-Fache erhält. Die Politik achtet insgesamt zu wenig auf die Mitte der Gesellschaft. Die weniger verdienenden 70 Prozent der Bevölkerung müssen mehr an den Staat abgeben als vor 20 Jahren, während Reiche massiv entlastet wurden.

Nötig wäre ein Kraftakt: Weniger Steuern für die Mittelschicht, weniger Sozialabgaben für Geringverdiener. Eine solche Großreform ließe sich dem detailmüden Bürger klarer präsentieren als das derzeitige Gewusel. Doch Union und SPD scheuen so eine Großanstrengung, die tatsächlich gegen verschiedene Lobbyinteressen durchgeboxt werden müsste. Es ist bezeichnend, dass so gegensätzliche Parteien wie FDP und Linke nun gemeinsam fordern, die Mittelschicht besser zu stellen. Die bisherigen Volksparteien Union und SPD verlieren ihren Kompass für die Mitte. Das erschreckt einen angesichts der Tatsache, dass die größte Oppositionspartei im Bundestag AfD heißt.

Man kann den Regierungsparteien eines zugutehalten: Sie haben die wirtschaftliche Basis der Mittelschicht erhalten. In Wahrheit ist das vor allem das Verdienst der Sozialdemokraten. Ihre umstrittenen Reformen der Nullerjahre wie die Agenda 2010 stärkten Deutschland in der Weltwirtschaft. Es gibt heute Millionen Arbeitsplätze mehr, während Nachbarn wie Frankreich oder Italien stagnieren. Die deutsche Reformpolitik taugt aber nur als erster Schritt. Jetzt geht es darum, den Wohlstand fairer zu verteilen. Hier jedoch bleibt die Regierung stumm, obwohl sie seit Jahren Milliardenüberschüsse erzielt.

Sicher, weniger Steuern für die Mitte und weniger Abgaben für Geringverdiener, das wäre teuer. Eine solche Großanstrengung darf auch nicht staatliche Investitionen verdrängen. Und sie lässt sich auch nicht einfach mit den Überschüssen finanzieren, denn die verdanken sich unter anderem der Konjunktur und den niedrigen Zinsen für staatliche Schulden. Die Konjunktur schwächelt schon, und die Zinsen könnten in einigen Jahren wieder steigen. Es gäbe aber einen Finanzmix, der weniger Steuern und Abgaben für die breite Masse ermöglichen würde.

Zum einen lässt sich ein Teil der Überschüsse heranziehen. Zum anderen könnte die Regierung ihre ineffektive Töpfchenpolitik reduzieren. Außerdem werden die Arbeitnehmer mehr konsumieren, wenn sie dauerhaft mehr im Portemonnaie haben, und so mehr Geld in die staatlichen Kassen spülen. Und es lassen sich jene Gruppen in die Pflicht nehmen, die von der neoliberalen Politik der vergangenen Dekaden profitierten. Dax-Vorstände verdienen heute 50 Mal so viel wie ihre Angestellten. Solche Spitzenverdiener können wieder jenen Spitzensteuersatz entrichten, der unter Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) galt: Bis zu 56 Prozent statt wie heute 42 bis 45. Und wer eine Firma erbt, sollte auf dieses Geschenk ebenso ernsthaft Steuern zahlen wie Millionäre, die auf Kapitalerträge teils die Hälfte zahlen wie früher. Das alles würde Milliarden mobilisieren.

Arbeitnehmer entlasten, Reiche für die Allgemeinheit einspannen: So ließe sich die soziale Spaltung bekämpfen. Eine Spaltung, die Populisten stark macht.

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