Kommentar:Gründet Start-ups!

Lesezeit: 3 min

Dem Handwerk geht es so gut wie lange nicht, doch darin steckt auch eine Gefahr: Die Betriebe dürfen trotzdem nicht versäumen, sich auf die digitale Zukunft vorzubereiten.

Von Christoph Gurk

Wer momentan einen Handwerker sucht, braucht Geduld. Die Auftragsbücher der meisten Betriebe sind randvoll, Wartezeiten von acht bis zwölf Wochen keine Ausnahme, sondern die Regel. Noch nie war die Auslastung im Handwerk so gut, sagt der Zentralverband des Deutschen Handwerks, und auch 2018, schätzt er, werden die Umsätze weiter steigen. Dank des Baubooms geht es dem Handwerk also glänzend. Das ist die gute Nachricht. Die Kehrseite aber ist, dass die Branche vor lauter Arbeit den Anschluss verlieren könnte.

Die Digitalisierung macht natürlich auch nicht vor dem Handwerk halt, Hochkonjunktur hin oder her. Viele Betriebe haben das erkannt. Es gibt heute Dachdecker mit Vermessungsdrohnen, Konditoren mit 3-D-Druckern und Sattler, die mit Hochleistungsscannern Pferderücken analysieren. Und dennoch fehlt etwas: neue Ideen und Betriebe, die nicht nur einfach alte Arbeit mit neuen Werkzeugen machen, sondern innovative Produkte herstellen und skalierbare Dienstleistungen anbieten. Kurz: Was das Handwerk braucht, sind keine neuen Betriebe, sondern Start-ups. Wenn die Metallbauer, Elektriker, Glaser oder Klempner sie nicht selbst gründen, dann kommen andere.

Die Betriebe müssen trotz voller Auftragsbücher die digitale Zukunft planen

Im Kleinen geschieht genau das bereits: In den vergangenen Jahren ist eine ganze Reihe von Start-ups in klassischen Handwerksbranchen entstanden. Das bekannteste Beispiel: Thermondo. Bei dem Onlineheizungsbauer tippen Kunden im Netz ein paar Informationen ein, ein eigener Algorithmus errechnet daraus im Handumdrehen ein Angebot zum Festpreis. Weil alles Administrative von Büromitarbeitern erledigt wird, haben die Handwerker mehr Zeit, und das wiederum kommt den Kunden zugute.

Thermondo ist eines der am schnellsten wachsenden Unternehmen Europas, längst gibt es ähnliche Anbieter auch für andere Handwerksbranchen, vom Maler-Start-up bis zum Onlinedachdecker. Auffällig ist dabei, dass die Gründer fast nie einen Meistertitel haben, sondern einen Abschluss in BWL. Sie haben kein Fachwissen, wenn es um Schreinerarbeiten oder das Verlegen von Rohren geht. Dafür aber haben sie erkannt, welches Geschäftspotenzial im Handwerk steckt, wenn man es nur anders denkt. So bringen sie nicht nur neue Techniken in die Branche, sondern auch eine neue Art des Arbeitens: eine zentrale Plattform, die alles steuert, Aufträge und Kundenanfragen genauso wie Preise und Handwerker. Die haben zwar keinen administrativen Aufwand mehr, verlieren damit aber auch alle Macht.

Noch sind die Start-ups kleine Player. Thermondo hat 2016 zwar 20 Millionen Umsatz gemacht, die ganze Branche allerdings 42 Milliarden, heißt es beim Zentralverband Sanitär Heizung und Klima. Der Kuchen reicht also noch für alle, die Frage ist allerdings, was passiert, wenn der Bauboom abebbt. Die Nachfrage würde dann sinken - die Start-ups aber wären immer noch da, inklusive der Festpreise und der praktischen Angebotserstellung im Netz.

Damit der Vorsprung nicht zu groß wird, müsste das Handwerk also schon jetzt dafür sorgen, dass seine Betriebe auch auf Dauer zukunftsfähig bleiben. Dass sie nicht nur neue Technik einsetzen, sondern auch neue, skalierbare Ideen entwickeln. Ein Schritt dorthin wäre, das immer noch vorherrschende Gewerkedenken aufzugeben. Der Heizungsinstallateur könnte sich mit dem Feinwerkmechaniker austauschen, Zimmerer mit Fensterbauern unterhalten. Am Ende würde vielleicht etwas Neues entstehen, weil Techniken aus dem einen Bereich in den anderen schwappen oder sich ganz einfach auch Marktlücken auftun.

Im kleinen Rahmen gibt es solche Vernetzungen schon, sie sind aber meistens zufällig und selten geplant. Denn während Start-up-Zentren an Universitäten längst zum Standard gehören und sich Studenten dort fächerübergreifend treffen, um neue Ideen zu entwickeln, gibt es eine derart gezielte Förderung von Start-up-Kultur im Handwerk kaum. Branchenübergreifender Unterricht spielt in der Ausbildung kaum eine Rolle genauso wenig wie Prozesse zur gezielten Ideenentwicklung. Das setzt sich in den Betrieben fort, schließlich haben auch die Ausbilder solche Techniken meist nicht gelernt.

Um das zu ändern, müssten Chefs ihre erfahrensten Mitarbeiter freistellen, damit diese sich beispielsweise in Design Thinking fortbilden. In Zeiten von randvoll gefüllten Auftragsbüchern klingt das natürlich wie ein schlechter Witz. Letztendlich werden es am Ende aber genau diese Betriebe sein, die Bestand haben. Weil sie nicht nur an das Heute gedacht haben, sondern auch an Morgen.

© SZ vom 16.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: