Kommentar:Grau ist alle Praxis

Der Umweltschutz bräuchte jetzt eigentlich kluge Wirtschaftspolitik. Doch zu den nötigen Reformen fehlt der Koalition offensichtlich der Mut.

Von Michael Bauchmüller

Tage, an denen Linkspartei und Union einer Meinung sind, darf man im Kalender getrost rot anstreichen, es gibt sie nicht oft. Vergangenen Donnerstag war so ein Tag. Der Bundestag ratifizierte den Klimavertrag von Paris, und das einstimmig. Den globalen Kampf gegen die Erderwärmung, den Abschied von Kohle, Öl und Gas - das finden alle klasse. Zumindest mal rein theoretisch.

Die Praxis dagegen ist grau. Rein praktisch findet sich nämlich kaum ein Bereich, in dem es weitergehen kann wie gehabt. Die Heizung, die dieser Tage wieder anläuft, nimmt Öl und Gas. Die Online-Päckchen kommen mit Diesel. Die Stahlproduktion braucht Kohle, ebenso die knapp 150 Kohlekraftwerke. Treibhausgase entstehen zu allem Überfluss auch in hiesigen Ställen, wo Mastvieh sein Kraftfutter verdaut, und auf Äckern, die mit zu viel Stickstoff gedüngt werden. Das alles soll sich ändern?

Zu den nötigen Reformen fehlt der Koalition offensichtlich der Mut

Ein trauriges Kapitel wird derzeit geschrieben, sein Kernsatz ist: Die anderen müssen ran. Die Autoindustrie hält einen massiven Rückgang der Emissionen für unmöglich und verweist auf den fernen Siegeszug alternativer Antriebe. Das hat Zeit. Die Energiewirtschaft will nichts davon wissen, dass Heizungen irgendwann ohne herkömmliche Brennstoffe auskommen müssen. Lieber setzt sie auf wolkige "Effizienz". Ohnehin will die Industrie erst mal sehen, dass andere Länder auch was tun. Die Bauern kämpfen gegen jede Bevormundung in Sachen Tierhaltung oder Düngung; im Übrigen sei die wachsende Weltbevölkerung zu versorgen. Sobald der Klimaschutz konkret wird, fällt noch jedem ein, was gerade nicht geht.

Die Summe aller Drückebergerei ist gerade auf bestem Weg, regierungsamtlich zu werden. Die Koalition hatte sich vorgenommen, einen eigenen "Klimaschutzplan" aufzustellen. Er soll die große Aufgabe abschichten, soll Zwischenziele auf dem Weg in eine klimafreundliche Republik zeigen. Kein Gesetz soll da entstehen, sondern ein grober Fahrplan. Doch mit jedem, der zusätzlich Hand anlegt, wird der einst große Plan klein und kleiner. Erst das Wirtschaftsministerium, dann das Kanzleramt drehten das Papier durch den Wolf. Viel Konkretes steht ohnehin nicht mehr drin, doch Wirtschaftsverbänden und Teilen der Union geht das wenige immer noch zu weit. Übrig könnte ein Torso bleiben. Mit kluger Wirtschaftspolitik wird das nichts mehr zu tun haben.

Kluge Wirtschaftspolitik gäbe Unternehmen eine klare Orientierung. Die kann seit dem Klimavertrag nur noch heißen: Vergesst die fossilen Energieträger. Stellt euch auf Märkte ein, die vermehrt grüne statt graue Produkte wollen. Nichts anderes bedeutet jene "Dekarbonisierung", auf die Angela Merkel vor einem guten Jahr den Industriestaaten-Klub G 7 einschwor. Bei Merkel daheim aber entsteht nun ein Klimaplan, der im schlimmsten Fall das genaue Gegenteil signalisiert: Macht erst mal weiter wie gehabt - der Rest wird sich weisen. Namentlich die deutsche Automobilindustrie, einer der wichtigsten Arbeitgeber im Land, könnte mit dieser Strategie in gar nicht so ferner Zukunft ziemlich in die Sackgasse stottern.

Kluge Wirtschaftspolitik hieße auch, den Umbau zu flankieren. Mit Strukturpolitik dort, wo eine Ende etwa des Braunkohleabbaus demnächst ganzen Regionen die Perspektive nimmt. Und mit Steuern da, wo Preise die grundfalschen Anreize setzen. So lädt der Verfall der Brennstoffpreise dazu ein, eher mehr Öl zu verbrauchen als weniger. Die schmutzigsten Kohlekraftwerke sind derzeit profitabler als vergleichsweise saubere Gaskraftwerke. Europas Emissionshandel aber, der den Treibhausgas-Ausstoß der Industrie limitierte und über handelbare Emissionsrechte den Betrieb von Dreckschleudern verteuern sollte, versagt seit Jahren.

Ein echter Klima-Plan, das wäre die Einführung einer Kohlendioxid-Steuer oder eines Mindestpreises für Emissionsrechte. Klimaschutz würde sich so für die Unternehmen wieder rentieren. Nebenbei würfe das Steuereinnahmen ab, mit denen sich dann wieder Teile des Umbaus finanzieren ließen. Und eine atmende Mineralölsteuer, die billigen Sprit höher besteuert als teuren, könnte alternativen Antrieben weit schneller auf die Straße verhelfen als milliardenschwere Subventionen für die reichen Käufer von E-Autos.

Zu all dem fehlt dieser Koalition offensichtlich der Mut. Sie nimmt mit einstimmiger Mehrheit den Klimavertrag von Paris an und sieht darin ein starkes Signal an die Staatengemeinschaft. Aber wehe nur, diese Staatengemeinschaft schaut zu genau hin. Sie müsste erkennen, dass die viertgrößte Ökonomie der Erde zwar groß reden kann - aber nicht handelt. Und vor lauter Verzagtheit verkennt, welches Geschäft im globalen Klimaschutz steckt.

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