Kommentar:Gesunder Realismus

Daimler und andere deutsche Autobauer stehen in der Kritik: Zu sehr seien sie in anderen Technologien verhaftet, die Margen zu schlecht. Warum die Vorwürfe überzogen sind.

Von Max Hägler

Recht viel unangenehmer kann das Urteil nicht ausfallen, wenn man sich in den Ruhestand zurückzieht: Eine "Großbaustelle" hinterlasse der Vorstandsvorsitzende Dieter Zetsche seinem Nachfolger Ola Källenius bei Daimler, lautete nur eine Kritik von Analysten bei der Hauptversammlung des Autobauers. Die Rendite miserabel, schimpften etliche, der Aktienkurs auch. Und was bringt eigentlich die Zukunft, nachdem da nur ein Elektroauto-Modell in den Läden steht? Ähnliche Worte musste sich vergangene Woche BMW-Chef Harald Krüger anhören: Wieso schaffen die sogenannten Premium-Anbieter keine Premium-Margen? Doch das ist Schwarzmalerei, die so nicht angebracht ist.

Hinter der Kritik steht der in den vergangenen Jahre geprägte Gedanke, dass die deutsche Autoindustrie nicht fähig ist, diese Transformation hinzubekommen, also den Wandel vom Auto hin zu einem elektrisch betriebenen Smartphone auf vier Rädern. Tatsächlich ist die Welt im Umbruch und die deutsche Industrie bekommt neue Konkurrenten: Tesla, Baidu, Google, Tencent, Uber und die anderen Unternehmen aus der Tech-Szene in den USA und China. Innerhalb weniger Jahre verändern diese Firmen alles, so lautet die dystopische Vorhersage, und da könnten Daimler und die anderen gewissermaßen einpacken. Dann wäre ein großes Kapitel zu Ende, das mit Gottlieb Daimler begann und auf dem viel von dem Wohlstand ruht: Der Schwabe ließ am 29. Januar 1886 das Automobil patentieren - eine wegweisende Erfindung.

Es ist davon auszugehen, dass auch künftig noch viele folgen werden. Denn die deutsche Autoindustrie, allen voran das traditionsreichste Unternehmen, macht manches falsch, aber vieles auch richtig. Zugleich ist ein gesunder Realismus eingekehrt. Aufgeschreckt vom Diesel-Skandal, von gefeierten Wettbewerbern, von Klimaschützerin Greta Thunberg und der strenger gewordenen Politik wissen viele Topmanager mittlerweile, wo es hapert - auch und gerade Ola Källenius, der nüchterne Betriebswirt. Von selbst sprechen sie bei Daimler und in den anderen deutschen Autokonzernen an, dass Tesla etwa in Kalifornien die Verkaufshitparaden teurer Wagen anführt. Ein Punkt, dem sie Respekt zollen, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass in den kommenden Monaten eben auch deutsche E-Modelle auf die Straßen kommen.

Die Deutschen können das schon. Zum Realismus gehört übrigens auch der Blick auf die Konkurrenz, die ihre eigenen Probleme hat, was Druck von Daimler und den anderen nimmt. So verdient etwa das US-Unternehmen Tesla weiterhin nichts. Manchem gerade noch hoch gelobtem chinesischen E-Auto-Start-up geht das Geld aus. Und auch wenn in China und Europa der Druck der Gesetzgeber zu abgasfreier Mobilität steigt, ist fraglich wie schnell die Kunden wirklich mitziehen: Es wird sicher keinen ganz schnellen Wandel geben, ein normales Auto wird schon noch nachgefragt in den kommenden Jahren. Schritt für Schritt in die Elektromobilität zu gehen, mit anpassbarem Tempo, wie es die deutschen Premiumautobauer machen, ohne alles sofort auf eine Karte zu setzen, ist deshalb ein kluger Weg.

Ernüchterung ist ebenfalls eingekehrt in Bezug auf die eigene Marktmacht: Jeder für sich der Größte, so lief das in der Vergangenheit. Doch nun zeigt sich immer mehr, dass die Aufgaben zu groß sind, um sie allein zu bewältigen. Da helfen sinnvolle Kooperationen, etwa zwischen BMW und Daimler bei Mobilitätsdiensten oder der teuren Entwicklung von Assistenzsystemen und dem Traum vom Roboterautos. Gemeinsam geht vieles schneller und kostet nur halb so viel. Wenn einstige Konkurrenten zu dieser Erkenntnis kommen, ist die Not des Einzelnen zwar groß, aber eine gemeinsame Lösung eben auch näher.

Von gesundem Realismus zeugt übrigens auch, dass die Vorstände von Daimler wie auch bei Audi und BMW erkennen, dass ihre Apparate mitunter übergroß und damit teuer geworden sind. Jeder "Stein soll umgedreht" werden, in Stuttgart wie in Ingolstadt und München, um Ressourcen und Mitarbeiter effizienter einzusetzen. So angebracht das ist: Zetsche sowie sein ebenfalls scheidender Finanzchef Bodo Uebber haben dem Gequengel von Investoren und Analysten, die niedrigere Kosten, also weniger Jobs und damit einen noch höheren Gewinn einforderten, stets einigermaßen widerstanden. Das ist gut so, und hoffentlich gilt das weiterhin. Zu den Aufgaben eines gute Manager gehört es schließlich auch Jobs zu sichern, erst Recht wenn eine Großbaustelle zu bearbeiten ist.

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