Renten:Das Rentensystem braucht dringend Korrekturen

Rente Ruhestand Rentensystem

Rentner machen Urlaub an der Ostsee: Auf einen Senioren kommen in 30 Jahren nur noch halb so viele Arbeitende wie heute, die die Ruhestandszahlungen per Umlage erwirtschaften.

(Foto: dpa)

Selbständige und Staatsdiener leisten keinen vergleichbaren Beitrag für spätere Generationen, wie es die Arbeitnehmer in der Wirtschaft tun. Fair wäre ein System, in das alle einzahlen.

Kommentar von Alexander Hagelüken

Es lohnt nicht immer hinzuhören, wenn sich ein Funktionär aus dem Wirtschafts- oder Arbeitnehmerlager äußert. Häufig weiß das Publikum schon nach den ersten Silben, welche bekannte Parole es gleich auf die Ohren kriegt.

Anders die jüngste Wortmeldung von Reiner Hoffmann. Der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbunds warnt, in einigen Jahren drohe vielen Menschen Altersarmut. Wie er erkennt, hat das enorme gesellschaftliche Sprengkraft. Und Hoffmann zeigt sich in der Lage, bei den Lösungen nicht nur gewerkschaftliche Klassiker herunterzubeten. Er fordert wegen der Alterung der Bevölkerung zum Beispiel eine gesteuerte Zuwanderung - in einem Moment, da die Deutschen an den Flüchtlingen verzagen, mutig unpopulär.

Die Analyse zeigt eines klar: Nachdem es ein paar Jahre eher ruhig um das Alterssystem war, stehen grundsätzliche Korrekturen an. Auf einen Senioren kommen in 30 Jahren nur noch halb so viele Arbeitende wie heute, die die Ruhestandszahlungen per Umlage erwirtschaften. Laut der Denkfabrik OECD bleiben die Renten und die Beiträge der Arbeitnehmer an die Rentenversicherung schon früher nur dann gleich, wenn die Deutschen bis 77 arbeiten. Das erscheint undenkbar. Daher verheißt die Zukunft zweierlei Schlechtes: Höhere Beiträge für Arbeitnehmer und weniger Geld für Senioren. Wer dann noch weiß, wie schlecht die als Ausgleich gedachte private Vorsorge funktioniert, ahnt das ganze Dilemma.

Die Rente mit 67 ist der Einstieg

Helfen kann nur Hoffmanns Vorbild. Alle Beteiligten müssen sich aus ihren Meinungsgräben bewegen - hin zu neuen Antworten auf das alte Altersthema. Ein Ansatz ist: Wenn die Deutschen länger leben und länger fit bleiben, können sie länger berufstätig sein. Die Rente mit 67 ist der Einstieg. Natürlich lässt sich das nicht beliebig ausdehnen, und mancher freut sich aufs rasche Aufhören. Aber es wäre doch schon ein Anfang, wenn jene Mehrheit der Beschäftigten länger tätig sein könnte, die dies laut Umfragen möchte.

Die Realität sieht anders aus. Die Firmen erschweren das Weitermachen genauso wie der Gesetzgeber. Und die aktuelle Bundesregierung setzt sogar Signale in die falsche Richtung: Sie entwendet der Rentenversicherung Milliarden, damit Angehörige einer gut versorgten Seniorengeneration schon mit 63 den Beruf verlassen können, ohne Abschläge am Ruhestandsgehalt. Das ist ein Schlag ins Gesicht der Jüngeren, die höheren Beiträgen und niedrigeren Renten entgegensehen.

Mit der Fehlsteuerung hört es damit nicht auf. Es ist auch falsch, allein den Beitragszahlern der gesetzlichen Altersversicherung Leistungen aufzubürden, die die ganze Gesellschaft angehen. Das gilt etwa für die Finanzierung der höheren Ruhestandszahlungen, die manche Mütter für die Erziehung von Kindern bekommen. Von Kindern profitiert das ganze Land, nicht nur die Beitragszahler.

Fair wäre ein System, in das auch Selbständige und Staatsdiener einzahlen

Das Solidarkonstrukt Umlagerente wird insgesamt nicht solidarisch finanziert. Arbeitnehmer in der freien Wirtschaft sind verpflichtet, in ein System einzuzahlen, dessen Erträge für sie selbst durch die Alterung niedriger ausfallen als heute. Zwar spricht manches für eine Umlage. Die Wirren der Finanzkrise und der Nullzinspolitik zeigen, dass die einst als überlegen gefeierte Deckung der Alterssicherung durch Kapital ebenfalls anfällig ist. Aber wenn man bei der Umlage schon Solidarität vorschreibt, warum nur einem Teil der Deutschen? Selbständige und Staatsdiener leisten keinen vergleichbaren Beitrag für spätere Generationen, wie es die Arbeitnehmer in der Wirtschaft tun. Fair wäre ein System, in das alle einzahlen. Damit ließen sich die Renten der Zukunft besser sichern als mit dem ungleichen Modell von heute.

Und damit nicht genug. Die Regierung sollte auch eingestehen, dass die Reformen der Jahrtausendwende ergänzt werden müssen. Die Idee damals, die alterungsbedingten Probleme der Umlage durch private Vorsorge zu verringern, war ja richtig. Doch dann fürchteten die Politiker, es werde nicht genug Vertragsangebote geben - und ließen sich von den Finanzkonzernen erpressen, Vorsorgeprodukte mit überhöhten Gebühren zu akzeptieren. Den verbliebenen Rest an Rendite fressen jetzt die Nullzinsen an.

Deshalb werden viele Deutsche im Alter weniger haben, als sie hofften. Die Regierung sollte lieber günstige Standardprodukte vorschreiben. Und sie sollte stärker fördern, wenn Riester-Verträge Aktien einsetzen, die langfristig mehr Gewinn abwerfen als Zinspapiere.

Alles Beharren hilft nichts. Das deutsche Alterssystem bedarf grundlegender Veränderungen. Mit dem Torso von heute werden Millionen Deutsche schlecht in die Zukunft kommen.

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