Kommentar:Freiwillig reicht nicht

Die Umfrage von Agrarministerin Klöckner zur Lebensmittelampel ist eine Farce. Die Ministerin drückt sich damit um eine klare Entscheidung - wie so oft.

Von Silvia Liebrich

Eine Ampelkennzeichnung für Lebensmittel ist umstritten. Hersteller wehren sich seit Jahren gegen ein leicht verständliches Farbsystem, das auf den ersten Blick erkennen lässt, ob im Lieblingsmüsli vielleicht zu viel Zucker, in der Pizza zu viel Fett oder im Snack zu viel Salz steckt. Das Motiv liegt auf der Hand: Zu viel Rot auf der Verpackung könnte Käufer abschrecken, und das bedeutet Umsatz- und Gewinneinbußen.

Dass Agrar- und Ernährungsministerin Julia Klöckner (CDU) diesen Konflikt nun endlich beilegen will, ist erst einmal eine gute Sache. Kaum nachvollziehbar ist jedoch die Vorgehensweise: 1600 befragte Bürger sollen innerhalb von zwei Monaten mit ihrem Votum bestimmen, welches Zeichen 83 Millionen Menschen in Deutschland demnächst auf Verpackungen im Supermarkt sehen werden. Grundsätzlich ist es ein feiner Zug, Bürger nach ihrer Meinung zu fragen. Die Menschen fühlen sich ernst genommen, außerdem können ihre Antworten eine Orientierungshilfe sein. Fragwürdig ist jedoch, wenn die Meinung von nur 1600 Menschen zum Zünglein an der Waage wird. Das ist dann ein bisschen so, als würde eine Umfrage in den Fußgängerzonen von München oder Hamburg über die Zusammensetzung der nächsten Bundesregierung entscheiden.

Klöckner muss sich nun die Frage stellen lassen, warum sie an anderer Stelle den Wunsch der Bürger so beharrlich ignoriert. Ging es nach der Mehrheitsmeinung der Deutschen, dann wäre der Unkrautvernichter Glyphosat längst verboten, wie auch der Einsatz von Reserveantibiotika in Ställen. Auf Fleischprodukten würde ein verbindliches Tierschutzlabel kleben. All das will Klöckner nicht.

Wozu eine Umfrage? Die Sachlage ist relativ eindeutig

Worum also geht es bei der Umfrage wirklich? Es liegt zumindest der Verdacht nahe, dass es hier nicht vorrangig um den Bürgerwillen geht, sondern viel mehr darum, dass sich Klöckner nicht mit dem mächtigen Verband der deutschen Lebensmittelwirtschaft anlegen will. Denn der lehnt das von vielen Seiten favorisierte Nutri-Score-Modell, das in Frankreich bereits genutzt wird, vehement ab. Er will sein eigenes, deutlich komplizierteres Logo durchsetzen, das ebenfalls zur Auswahl steht. Weil Klöckner offenbar nicht selbst entscheiden will, sollen das nun die Umfrageteilnehmer übernehmen.

Und überhaupt: Wozu eine Umfrage, die Geld kostet, wenn die Sachlage wie in diesem Fall schon vorher relativ eindeutig ist? Unabhängige Wissenschaftler und Experten aus dem Ernährungsministerium sind sich einig. Sie halten das Nutri-Score-Modell für die bessere Lösung, wie auch Gesundheitsexperten und Verbraucherschützer. Selbst internationale Lebensmittelkonzerne wie Danone und Nestlé favorisieren das Modell.

Vor diesem Hintergrund wirkt Klöckners Umfrage wie eine Farce, ganz egal, was am Ende dabei herauskommt.

Tatsächlich geht es der Ministerin wohl eher darum, in der Öffentlichkeit ein gutes Bild abzugeben. Keine Frage, sie verkauft sich gut bei Auftritten, sei es nun auf offener Bühne oder auf Twitter. Doch schöne Worte reichen nicht, am Ende sind es Taten, an denen sich die Ministerin messen lassen muss. Wie zuletzt beim Schutz der Bienen, zu dem sie sich immer wieder wortreich bekennt. So gar nicht passt da ins Bild, dass sie auf EU-Ebene gerade erst einer neuen Leitlinie zustimmte, die eine Zulassung bienenschädlicher Pestizide eher erleichtern statt erschweren dürfte.

Tatsächlich fällt ihre Zwischenbilanz nach gut einem Jahr im Amt ernüchternd aus. Harte Kämpfe mit Bauernvertretern Tierhaltern oder Lebensmittelherstellern scheut Klöckner. Zu oft setzt sie auf freiwillige Lösungen wie beim geplanten Lebensmittelzeichen. Sie zaudert selbst dort, wo ein Durchgreifen zum Schutz von Tieren, Umwelt und Verbrauchern dringend nötig wäre. Obwohl Reserveantibiotika in der Geflügelhaltung Menschen und das Gesundheitssystem gefährden, setzt sie auch hier auf die Einsicht der Halter, anstatt die Mittel in Ställen zu verbieten. Kaum voran geht es auch beim staatlichen Tierwohllabel, das schon ihre Amtsvorgänger angeschoben haben. Kritik an einer freiwilligen Kennzeichnung von Fleisch kommt selbst vom Koalitionspartner SPD. Ungelöst bleibt der Nitrat-Konflikt. Deutschland drohen horrende Strafen, wenn die Landwirtschaft nicht den Eintrag von Gülle und Dünger reduziert.

Wer all diese Probleme lösen will, kann und darf es nicht bei schönen Worten belassen. Klöckner muss endlich eigene Entscheidungen treffen, die auch weh tun, wenn es sein muss. Gelingt ihr das nicht, könnte sich das bei der nächsten wirklich großen Umfrage rächen: bei der nächsten Bundestagswahl.

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