Kommentar:Freiheit für Zentralbanker

Die Notenbanker müssen sich wieder auf ihr Kernmandat beschränken: den Kampf gegen Inflation und Deflation, die Überwachung großer Banken. Aktive Konjunkturförderung gehört nicht dazu.

Von Claus Hulverscheidt

Unter all den Unflätigkeiten, die sich Notenbanker in den letzten Jahren haben anhören müssen, zählt Wolfgang Schäubles Attacke auf Mario Draghi aus dem Jahr 2016 zu den niederträchtigsten. Der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), so Schäuble damals sinngemäß, sei mitschuldig am Aufstieg der AfD, weil er den Rechtsverirrten mit der angeblichen Enteignung der deutschen Sparer ein identitätsstiftendes Thema geliefert habe. Die Aussage ist an tumbem Populismus kaum zu überbieten und keinen Deut besser als all die Beleidigungen, die Donald Trump seit Monaten Draghis US-Pendant Jerome Powell an den Kopf wirft. Denn es war ja bekanntlich nicht die EZB, die bei der Bekämpfung der Euro-Krise versagte, es waren der damalige Bundesfinanzminister Schäuble und seine europäischen Amtskollegen: Sie sahen dem Zimmerbrand so lange zankend zu, bis das ganze Haus in Flammen stand - und beschimpften dann die Feuerwehr wegen der Löschwasserschäden. Man kann lange darüber streiten, ob der Nimbus der Unantastbarkeit, den Notenbanker in Deutschland noch vor 20 Jahren genossen, einer Demokratie angemessen war. Umgekehrt aber nimmt diese Demokratie zweifellos Schaden, wenn nun auch die Währungshüter von der globalen Populismuswelle mitgerissen und in ihrer Arbeit behindert werden. Zentralbanken müssen frei von politischem Druck agieren können, um ihre Aufgabe, die Sicherung stabiler Preise und möglichst hoher Beschäftigung, erfüllen zu können. Das heißt nicht, dass man Notenbanker nicht kritisieren darf - etwa dafür, dass sie die Finanzkrise von 2008 nicht kommen sahen. In der Ausübung ihres Kernmandats aber müssen sie unabhängig sein.

Das Problem ist, dass sich im Zuge der Finanz- und der Euro-Krise die Rolle der Zentralbanken fundamental verändert hat. Weil die Politik in den USA und Europa einen Teil der nötigen Reformen bis heute nicht zustande bringt, mutierten die Notenbanker zu obersten Krisenmanagern - mit der Konsequenz, dass ihre vermeintlich rein technische, an Wirtschaftsdaten und abstrakten Modellen orientierte Arbeit plötzlich höchst politische Fragen aufwirft: Welchen Einfluss nimmt die Geldpolitik auf die Konjunktur? Zu welchen Konditionen können sich Staaten finanzieren? Warum entscheiden nicht gewählte Technokraten, welche Reformen Regierungen umsetzen müssen? Wie wird gesellschaftlicher Wohlstand verteilt?

Die Grenzverwischung bietet Populisten jeder Couleur die Chance, eine weitere staatliche Institution sturmreif zu schießen und ihr Arsenal an Sündenböcken zu erweitern. Trump, der im Herzen ein Autokrat ist, attackiert die Fed, weil die seinen Kurs einer schuldenfinanzierten Strohfeuerpolitik nicht willfährig mitträgt. Und in Europa nutzt etwa die AfD die verbreiteten Vorurteile vieler Bürger gegen Italiener, um gegen den vermeintlichen Bruder Leichtfuß an der Spitze der EZB zu hetzen. Dass Powell und Draghi bisher nicht eingeknickt sind, kann man ihnen gar nicht hoch genug anrechnen - erst recht, wenn man bedenkt, wie viele vermeintliche Polit- und Wirtschaftsgrößen sich etwa in den USA als Maulhelden entpuppt haben: Sie alle nähern sich dem einst verspotteten Präsidenten längst nur noch auf Knien. Powell und Draghi taugen damit in düsteren Zeiten als Vorbild. Ja, man könnte gar auf die Idee kommen, dass es sinnvoll wäre, neben der Geldpolitik weitere wichtige Politikbereiche auf unabhängige Instanzen zu übertragen, um sie vor dem Zugriff von Populisten zu schützen. Doch das wäre zu kurz gedacht, denn damit würde sich die Demokratie selbst zerstören: Antiliberalismus lässt sich nicht mit Antiliberalismus bekämpfen.

Stattdessen müssen sich die Notenbanken aus der Schusslinie nehmen und wieder auf ihr Kernmandat beschränken: den Kampf gegen Inflation und Deflation, die Überwachung großer Banken, die Verhinderung von Spekulationsblasen, die passive Konjunkturstützung. Draghi sollte sich hier an Powell und dessen Vorgängerin Janet Yellen orientieren, die ihren Kurs der geldpolitischen Normalisierung auch deshalb durchhielten, weil sie nicht glaubten, die Welt im Alleingang retten zu müssen. Die aktive Konjunkturförderung nämlich, die Beseitigung regulatorischer Mängel, die Abwicklung maroder Banken und die Verteidigung von Währung und Währungsraum gehören nicht zu den Pflichten der Geldpolitik. Sie sind originäre Aufgabe der allgemeinen Wirtschaftspolitik, die gewählten Volksvertretern vorbehalten bleiben muss und für deren Nichterfüllung sich diese gewählten Volksvertreter auch wieder selbst verantworten sollten. Volksvertreter wie Wolfgang Schäuble.

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