Kommentar:Fatales Signal in Stuttgart

Kommentar: Caspar Busse findet auch, dass es in Bayern zu wenige Windräder gibt. Illustration: Bernd Schifferdecker

Caspar Busse findet auch, dass es in Bayern zu wenige Windräder gibt. Illustration: Bernd Schifferdecker

Die Rolle von Aufsichtsräten ändert sich gerade gewaltig, sie müssen aktiver werden und für neue Impulse sorgen. Die Wahl des neuen Chefaufsehers bei Daimler ist da die genau falsche Entscheidung.

Von Caspar Busse

Bei großen und börsennotierten Unternehmen kontrolliert ein Aufsichtsrat den Vorstand, so steht es im Aktiengesetz. Dabei wandelt sich die Rolle der Aufseher gerade sehr: Schon lange soll das ideale Aufsichtsgremium nicht mehr still abnicken, was der Vorstand vorschlägt, und ansonsten möglichst nicht stören. Es muss deutlich aktiver werden. Starke und gute Aufsichtsräte müssen unangenehme Fragen stellen, das Geschäftsmodell kritisch prüfen und gegebenenfalls auch auf einen neuen Kurs drängen. Die Frauen und Männer aus dem Aufsichtsgremium sind also immer mehr auch Sparringspartner für den Vorstand. In der sich so schnell ändernden Wirtschaftswelt ist das noch viel wichtiger als früher.

Nur: Ist diese Erkenntnis schon überall angekommen? Der Stuttgarter Autobauer Daimler etwa hat gerade verkündet, dass Bernd Pischetsrieder von März 2021 an den Aufsichtsrat führen soll. Diese Entscheidung ist aus mehreren Gründen falsch und möglicherweise auch gefährlich. Natürlich ist Pischetsrieder durchaus erfahren und mit diplomatischem Geschick ausgestattet, er war Vorstandsvorsitzender von BMW und von Volkswagen (ist allerdings dort jeweils im Unfrieden geschieden), er war mit Erfolg Chefaufseher beim weltgrößten Rückversicherer Munich Re.

Das Problem: Die Personalie symbolisiert einen fatalen Kurs des "Weiter-so". Der gebürtige Münchner steht wie wenig andere für die "alte" Welt des Automobilbaus. Mit neuen Strategien oder Konzepten, wie die deutsche Autobranche künftig ihren Weg finden kann, ist er bisher nicht aufgefallen. Ein Aufbruchssignal ist das nicht.

Gerade das wäre für Daimler aber dringend notwendig, denn die Probleme sind gewaltig: Abbau von Tausenden Jobs, Verluste, große Unruhe, ein grundlegender Technologiewandel. Der amerikanische E-Autobauer Tesla läuft den Stuttgartern den Rang ab. Dazu kommt, dass zwei chinesische Investoren bei Daimler eingestiegen sind, die möglicherweise mehr an Technologie und dem großen Namen interessiert sind als am Wohlergehen von Daimler. Das alles erfordert einen besonders starken Chefaufseher.

Bernd Pischetsrieder geht schon geschwächt in das Amt des Chefaufsehers

Aber Pischetsrieder wird zum Zeitpunkt seiner Amtseinführung 73 Jahre alt sein. Die Geschäftsordnung des Daimler-Aufsichtsrats sieht "in der Regel" eine Altersgrenze von 72 Jahren vor. Zu Recht spricht die Aktionärsvereinigung DSW von einer "Not- und maximal Übergangslösung". Pischetsrieder geht also geschwächt in sein Amt, zudem gilt er ohnehin nur als "zweitbeste Wahl". Ursprünglich hatte der amtierenden Chefaufseher Manfred Bischoff den langjährigen Daimler-Chef Dieter Zetsche für seine Nachfolge vorgesehen und lange daran festgehalten. Wertvolle Zeit für die Nachfolgesuche ging verloren.

Nach massiver Kritik auch von Investoren platzte der Plan mit Zetsche - was übrigens gut ist. Denn auch die immer noch übliche Praktik, den Vorstandschef automatisch nach der vorgeschriebenen Wartezeit an die Spitze des Aufsichtsrats zu hieven, damit der über sein eigenes Erbe wachen kann, ist schon lange nicht mehr zeitgemäß.

Wie es anders laufen kann, zeigt das Beispiel Siemens. Dort führt der ehemalige SAP-Chef Jim Hagemann Snabe seit 2018 das Aufsichtsgremium, er hatte vorher nie bei Siemens gearbeitet, ist deutlich jünger als der scheidende Konzernchef Joe Kaeser, kommt aus einer anderen Branche und brachte trotzdem einen schwierigen Chefwechsel relativ ruhig über die Bühne. Ähnlich bei der Deutschen Post: Dort ist der Ex-Munich-Re-Chef Nikolaus von Bomhard Chefaufseher, oder beim Chiphersteller Infineon, wo der Stahlmanager Wolfgang Eder berufen wurde.

Frischer Wind von außen ist manchen vielleicht unangenehm, er tut in der Regel aber sehr gut.

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