KommentarFaszinierend, aber untauglich

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In der Schweiz wird an diesem Sonntag über die Vollgeld-Initiative abgestimmt. Was sich da eine Gruppe aus Ökonomen, ehemaligen Bankern und Aktivisten wünscht, klingt logisch, ist aber dennoch voll daneben.

Von Charlotte Theile

Als sich vor einigen Jahren eine kleine Gruppe aus Ökonomen, ehemaligen Bankern und Aktivisten zusammenfand, um der Schweiz ein neues Geldsystem zu verpassen, hatten sie den Überraschungseffekt auf ihrer Seite. "Wer ist in unserem Staat befugt, Geld zu schöpfen?", fragten sie die Menschen auf der Straße und bekamen fast immer die gleiche Antwort: die Nationalbank. Tatsächlich wird aber ein großer Teil der Geldmenge durch Geschäftsbanken geschaffen. Wer heute einen Kredit aufnimmt, dem schreibt die Bank den Betrag einfach auf dem Konto gut - ohne das Geld in dieser Höhe selber zu besitzen.

Die Vollgeld-Initiative, über die an diesem Sonntag in der Schweiz abgestimmt wird, will das ändern. Nicht zu Unrecht argumentieren die Initiatoren, dass die Geschäftsbanken in den vergangenen Jahren zu viele Kredite vergeben haben - und damit die Finanzkrise von 2008 möglich gemacht haben. Als damals Kredite platzten, Banken ins Schleudern gerieten und pleitegingen, mussten viele Kunden eine schmerzliche Erfahrung machen: Das sicher geglaubte Vermögen auf dem Konto hatte sich in Luft aufgelöst.

Wenn es, wie die Vollgeld-Initiative vorsieht, nur noch der Nationalbank erlaubt wäre, Geld zu schaffen, wäre das Guthaben auch bei einer Bankenpleite noch da - und das Problem gelöst. Das Vorbild, das die Schweizer Initiative dabei nennt, ist eines, welches jeder kennt und versteht: Bargeld. Sämtliche Banknoten werden von der Nationalbank zertifiziert und herausgegeben, die Geschäftsbanken reichen sie bloß weiter, können selber aber keine drucken. Die Scheine lassen sich immer einlösen und behalten auch nach vielen Jahren ihren aufgedruckten Wert - nach diesem Prinzip würde künftig auch das papierlose Geld auf dem Girokonto funktionieren.

Zur Schweiz, die seit mehr als 160 Jahren die gleiche Währung hat, scheint das Vollgeld-System besonders gut zu passen. Das sicherste Geld der Welt, made in Switzerland? Eine faszinierende Idee, auf den ersten Blick jedenfalls. Trotzdem hat die Vollgeld-Initiative an der Urne keine Chance. Nur etwa dreißig Prozent der Schweizer werden am Sonntag für den Systemwechsel stimmen. Und das ist gut so.

Denn obwohl die Befürworter des Vollgeld-Systems zum Teil die richtigen Fragen stellen, sind die Antworten, die ihr Verfassungsentwurf anbietet, wenig überzeugend. Seit dem Zusammenbruch von Lehman Brothers sind zehn Jahre vergangen. Politiker und Wirtschaft haben erkannt, dass die Banken für die vergebenen Kredite zu wenig Geld zurückgelegt haben. Heute müssen die Geldinstitute deshalb deutlich mehr Eigenkapital und Liquidität vorweisen als vor der Krise. Zudem wurde der Einlagenschutz ausgebaut: Bei einem Konkurs sind in der Schweiz 100 000 Franken pro Kunde gesichert.

Einer der wichtigsten Gründe für das heutige System aber ist, dass die Geschäftsbanken mit ihren Krediten Investitionen ermöglichen, etwa in Fabriken oder den Kauf eines Eigenheims. Diese Kreditvergabe würde durch das Vollgeld-System eingeschränkt und verteuert. Deshalb kann auch die Nationalbank mit dem Vorstoß nichts anfangen. Die obersten Wächter des Schweizer Frankens warnen vor einem starren, rückschrittlichen System, in dem das Wirtschaftswachstum vollständig von der Geldmenge abhinge, obwohl es viel wirksamer wäre, die Wirtschaft über die Zinsen zu steuern.

Die Schweiz mit ihren Banken wäre ein ziemlich riskanter Ort für solch ein Experiment

Und selbst das Sicherheitsgefühl, das die Befürworter des Vollgelds versprechen, ist trügerisch. Eine Krise auf dem Immobilienmarkt, wie sie vor zehn Jahren die USA erschüttert hat, könnte das neue System nicht verhindern. Insofern ist es nicht erstaunlich, dass die Theorie vom Vollgeld, die seit fast hundert Jahren immer wieder diskutiert wird, in keinem Land der Welt umgesetzt wurde. Die Schweiz, die mit ihren zahlreichen großen Banken einen wichtigen Finanzplatz bildet, wäre ein ziemlich riskanter Laborstandort. Und die Schweizer, bekannt für konservative, vorsichtige Abstimmungsergebnisse, sind hier zu Recht skeptisch.

Ein Gutes aber bleibt: Die Schweizer Banken mussten sich in die Karten schauen lassen. Die Initiative hat ihnen, wieder einmal, klargemacht, dass sie nicht über dem Gesetz stehen, sondern in der Pflicht sind, ihre Geschäftspraktiken zu erklären. Dafür kann man den Vollgeld-Initiatoren danken - und die Idee guten Gewissens zurück in die Universitäten schicken.

© SZ vom 08.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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