Kommentar:Falsches Signal

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Krise, welche Krise? Bei Volkswagen machen sie einfach weiter. Jetzt hat der Aufsichtsrat den Vorstand gestärkt und der Hauptversammlung die Entlastung empfohlen - trotz der ungeklärten Vorwürfe. Das ist der falsche Weg.

Von Caspar Busse

Die Verantwortlichen in Wolfsburg hätten es zwar gerne, aber Normalität ist im Volkswagen-Konzern noch lange nicht eingezogen. Rund 18 Monate nach dem Auffliegen der Dieselaffäre gibt es zwar eine Einigung in den USA, die das Unternehmen viele Milliarden Euro kostet. Aber gleichzeitig ermitteln noch immer die Staatsanwälte, erst vor zwei Wochen gab es aufsehenerregende Durchsuchungen bei der Konzerntochter Audi. Es ist nach wie vor ungeklärt, wer wann was von den Betrügereien wusste. Die Kunden sind außerdem unzufrieden. Die Zukunft des Dieselmotors ist ungeklärt. Intern gibt es Auseinandersetzungen zwischen den Arbeitnehmervertretern und dem Management um den weiteren Kurs. Ex-Patriarch Ferdinand Piëch, der als unberechenbar gilt, will jetzt seine Anteile loswerden.

Durchwursteln, bloß kein grundlegender Neuanfang - das ist die verhängnisvolle Antwort des Managements auf all das. Auch der Aufsichtsrat von Deutschlands größtem Industrieunternehmen macht weiter wie bisher. Gerade erst haben die Aufseher dem Management unter der Führung von Matthias Müller das volle Vertrauen ausgesprochen. Das Kontrollgremium empfiehlt den VW-Aktionären, der kompletten Konzernspitze auf der nächsten Hauptversammlung am 10. Mai in Hannover für das abgelaufene Geschäftsjahr Entlastung zu erteilen. Und auch die Audi-Aufseher folgen diesem Vorbild.

Die Entlastung der VW-Chefs ist völlig verfrüht. Erst müssen alle Vorwürfe geklärt werden

Das ist das falsche Signal. Entlastung sollte dem Vorstand erst dann erteilt werden, wenn alle Vorwürfe ausgeräumt sind. Welche Rolle spielte Audi-Chef Rupert Stadler bei der "Dieselthematik", wie der Skandal intern noch immer beschönigend bezeichnet wird? Was ist dran an den Vorwürfen gegen VW-Vorstand Herbert Diess und den früheren Chef Martin Winterkorn?

Natürlich gilt: Im Zweifel für den Angeklagten. Aber die Untersuchungen der Behörden laufen, es besteht kein Anlass, den Betroffenen bereits einen Freifahrschein zu erteilen. Erst wenn das Ergebnis da ist, können die Manager auch entlastet werden. Die Entscheidung der Aktionäre dazu hätte zumindest vertagt werden müssen. Natürlich wäre das nicht angenehm gewesen. Es hätte zu neuen Unsicherheiten für die Betroffenen und das Unternehmen als Ganzes geführt. Es wäre aber ein Zeichen gewesen, dass man die Situation ernst nimmt. So aber macht man einfach weiter, ganz egal, was da draußen passiert.

Bei VW hält man eben zusammen. Unter der Führung von Hans Dieter Pötsch - zur fraglichen Zeit übrigens selbst im Vorstand für Finanzen zuständig, ein Vertrauter von Winterkorn und damit direkt selbst betroffen - gibt sich der Aufsichtsrat unbeeindruckt. Die Wolfsburger Wagenburg steht, alle haben sich komfortabel eingerichtet. Das Sagen haben ohnehin die beiden Eigentümerfamilien Porsche und Piëch, die Arbeitnehmervertreter sind auch irgendwie mit im Boot. Die beiden anderen Großaktionäre - Niedersachsen und Katar - leisten keine große Gegenwehr. Alles in allem ist das eine unheilvolle Allianz. Da können die übrigen Aktionäre wie auf der Hauptversammlung im vergangenen Jahr zwar lautstark Kritik üben. Ausrichten werden sie gegen diese Übermacht so gut wie nichts.

Natürlich kann man grundsätzlich über den Sinn der Entlastung auf Hauptversammlungen streiten. Denn selbst wenn die Aktionäre einem oder mehreren Vorständen die Absolution teilweise oder mehrheitlich verweigern, unmittelbare rechtliche Konsequenzen hat das nicht. Er oder sie kann weiter im Amt bleiben, und auch eventuelle spätere Schadenersatzforderungen wegen Fehlverhaltes sind davon nicht betroffen (darauf hat VW interessanterweise noch mal ausdrücklich hingewiesen). Mit der Abstimmung über die Entlastung wird vielmehr über die Art der Geschäftsführung im abgelaufenen Jahr geurteilt. Mit einer Entlastung sprechen die Aktionäre der Geschäftsführung ihr Vertrauen aus - oder eben nicht. Das aber ist ein wichtiges und für alle sichtbares Signal.

Besonders heikel ist die Lage für Großaktionär Niedersachsen, das Land hält 20 Prozent der Anteile. Zwei SPD-Politiker, Ministerpräsident Stephan Weil und Wirtschaftsminister Olaf Lies, sitzen im VW-Aufsichtsrat und tragen den Kurs mit. Im vergangenen Jahr hatte das Land auf der Hauptversammlung kurz vor der Abstimmung über die Entlastung plötzlich mitgeteilt, dass man sich enthalten wird. Am Ergebnis freilich änderte das nichts, denn die Niedersachsen-Stimmen gelten nicht als Nein, sondern wurden nicht mitgezählt. Der Vorstand wurde damals mit 97 Prozent entlastet.

© SZ vom 30.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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