Süddeutsche Zeitung

Kommentar:Es lohnt sich - für alle

Natürlich wird es teuer: Wer die Flüchtlinge integrieren will, der muss dafür viel Geld ausgeben. Aber bessere Schulen und öffentliche Einrichtungen nützen jedem.

Von Susanne Höll

Noch ist nicht sicher, wie viele Flüchtlinge in diesem und in den nächsten Jahren nach Deutschland kommen und hier bleiben werden. Ungewiss ist auch, wie schnell sich die Schutzsuchenden einfinden, ob sie tatsächlich fix die Sprache lernen und einen Arbeitsplatz finden. Schon jetzt aber steht fest, dass der deutsche Staat viel Geld aufbringen muss, um den Asylbewerbern ein Dach über dem Kopf zu geben, sie gut auszubilden, sozial und ökonomisch so schnell wie möglich zu integrieren. Es wird ein zweistelliger Milliardenbetrag sein, der auf Bund, Länder und Kommunen zukommt.

Die allermeisten Bundesländer haben in den vergangenen Wochen begonnen, ihre Haushalte den neuen Gegebenheiten anzupassen. Das hoch verschuldete Saarland wird 2016 mindestens 30 Millionen Euro mehr ausgeben, das bei Weitem größere und besser bestallte Hessen eine Milliarde. Im Jahr 2016 dürfte es kaum Probleme geben: Die Konjunktur läuft, die Steuereinnahmen sind nach wie vor erfreulich, und der Bund übernimmt für Länder und Kommunen einen Großteil der Ausgaben. In den folgenden Jahren wird die Lage weniger erquicklich sein: Die Länder dürfen von 2019 an keine Schulden mehr machen, und die Bundesregierung möchte ein Etat-Musterschüler sein und weiterhin eine schwarze Null schreiben. Beides zusammen wird aber nicht machbar sein.

Deutschland könnte in ein oder zwei Jahrzehnten ein attraktiveres Land sein

Zumal die staatlichen Mehrausgaben noch einmal deutlich höher werden, jedenfalls dann, wenn die Verantwortlichen aller staatlichen Ebenen die Aufgabe der Integration tatsächlich ernst nehmen. Wer anerkannte oder geduldete Flüchtlinge in ländlichen Gebieten unterbringt, muss dafür sorgen, dass sie mit Bussen oder Bahnen zu einer neuen Arbeitsstelle kommen können. Denn welcher Neuankömmling kann sich, bitte schön, ein Auto leisten? Die vielerorts über Jahre hinweg vernachlässigten Schulgebäude müssen mit der Ankunft neuer Kinder flottgemacht werden, in den Kitas werden zusätzliche und qualifizierte Betreuer nötig sein.

Jeder, der im Bund, im Land oder in der Gemeinde Verantwortung trägt, tut gut daran, gesellschaftlichen Verwerfungen vorzubauen. Denn die Ankunft Hunderttausender Flüchtlinge birgt die Gefahr riskanter Verteilungskonflikte. Diejenigen, die bisher schon in Deutschland leben, insbesondere die mit kleinen Einkommen und großen Sorgen, dürfen nicht den Eindruck bekommen, die Politik kümmere sich nicht mehr um ihre Belange.

Solche Ängste sind nicht unbegründet. Wer als alleinerziehende Mutter dieser Tage in einer Kleinstadt eine bezahlbare und akzeptable Wohnung sucht, muss die Erfahrung machen, dass etliche Immobilien längst an Flüchtlingsfamilien vergeben werden. Die Turnhallen im Lande dürfen nicht über Monate hinweg als Notunterkünfte für Schutzsuchende dienen. Viele Familien können es sich nicht leisten, ihre Kinder in exklusive Sportvereine zu schicken, die eigene Anlagen haben und dafür stattliche Mitgliedsbeiträge nehmen. Und es darf nicht sein, dass die Mitarbeiter von Sozial- und Jugendämtern über die zweifellos fordernde Betreuung unbegleiteter jugendlicher Flüchtlinge die Bedürfnisse der heimischen jungen Leute vernachlässigen müssen.

Es stimmt, die zusätzlichen Milliarden sind Kosten für uns alle. Für Schreckensszenarien aber besteht keinerlei Anlass. Im Gegenteil. Dieses Geld ist nicht nur eine notwendige, sondern auch eine gute Investition, die unsere Gesellschaft stärkt und damit die Stabilität unseres Landes. Was nützen uns Schuldenbremsen und schwarze Nullen, wenn der soziale Frieden auf die Probe gestellt wird?

Wenn man es geschickt angestellt, wird sich diese Anlage mehrfach auszahlen. Deutschland könnte dank der Flüchtlinge in ein oder zwei Jahrzehnten ein attraktiveres Land sein, mit guten Schulen, kleinen, aber feinen Krankenhäusern, einem Nahverkehrssystem, das auch jenseits der Großstädte seinen Namen verdient.

Bleibt die Frage, wer das bezahlen soll? Die Kommunen, die sich in den letzten Jahren bemüht haben, ihre Finanzen in Ordnung zu bringen, werden es nicht leisten können, jedenfalls dann nicht, wenn sie den Frieden vor Ort wahren wollen. Die Länder wären - übrigens auch ohne Wahrung der Schuldenbremse - überfordert. Bleibt also der Bund. Der hat noch ein paar Reserven, darf auch nur in begrenztem Maß neue Schulden aufnehmen. Aber wenn die Merkels und Schäubles die strenge Etatdisziplin nicht aufgeben wollen, können sie auch die Steuern erhöhen. Die für Spitzenverdiener, wohlgemerkt.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2749989
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 24.11.2015
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.