Kommentar:Es ist Zeit umzukehren

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Fed-Chef Jerome Powell hat die Märkte glücklich gemacht. Er kündigt ein nahes Ende der Leitzinserhöhung in den USA an. Billiges Geld ist ein guter Zunder und gefährlich.

Von Markus Zydra

Die Finanzmärkte sind mal wieder glücklich. Es ist etwas geschehen, womit sie eigentlich nicht mehr rechnen durften. Jerome Powell, der Chef der amerikanischen Notenbank Federal Reserve, kündigte überraschend ein nahes Ende der Leitzinserhöhungen in den USA an, nachdem er vor ein paar Wochen noch das Gegenteil gesagt hatte. An den Börsen stiegen daraufhin sofort die Kurse. Billiges Geld ist ein guter Zunder.

Die Wirtschaftswissenschaft ähnelt in einem Aspekt der Juristerei. Man nehme zwei Experten und hört drei Meinungen. Daher gibt es nachvollziehbare ökonomische Argumente für Powells Kehrtwende. Doch der Zeitpunkt macht misstrauisch. Denn der amerikanische Präsident Donald Trump hatte Powell kurz zuvor scharf angegriffen und behauptet, der Fed-Chef schade der amerikanischen Wirtschaft, wenn er die Leitzinsen weiter anhebe. Es war nicht die erste Attacke aus dem Weißen Haus; bislang hatte sich Powell die Einmischung Trumps stets verbeten. Doch dieses Mal, so wirkt es zumindest, könnte er dem politischen Druck nachgegeben haben.

Der Konflikt zwischen Trump und Powell ist exemplarisch für die aktuellen Beziehungen zwischen Notenbanken und Regierungen. In den westlichen Industriestaaten hatten sich beide Seiten eigentlich darauf geeinigt, dass niemand dem anderen auf die Füße tritt. Notenbanker sind in vielen Staaten unabhängig. Das bedeutet, sie sind keinen Weisungen von Politikern unterworfen. Doch dieser Pakt ist brüchig geworden. Auch in Europa und Japan machen Regierungen auf vielen Kanälen Druck, die lockere Geldpolitik fortzusetzen - und das darf keinen überraschen.

Die Währungshüter bei der Fed, der Europäischen Zentralbank und der Bank of Japan haben durch ihre Nullzinspolitik und den Ankauf von Wertpapieren die Welt in einem Moment stabilisiert, als die Machtlosigkeit der Politiker offenkundig war. Die Notenbanker konnten auf Knopfdruck so viel Geld erzeugen, wie nötig war, um die Weltwirtschaft nach Ausbruch der globalen Finanzkrise 2008 wieder auf Wachstumskurs zu bringen. Die Politiker allein hätten das nicht vermocht. Also ließen die Regierungen den Alchemisten in den Notenbanktürmen gerne den Vortritt, zumal das billige Notenbankgeld keine Kosten zu verursachen schien. Doch gerade dieser falsche Eindruck sorgte dafür, dass die Geldschwemme in den vergangenen Jahren ihre starke Suchtwirkung entfalten konnte. Die Welt hat sich an die Nullzinsen gewöhnt, und das ist gefährlich.

Viele Immobilienkäufer haben knapp kalkuliert, weil sie seit Jahren nichts anderes kennen als rekordtiefe Hypothekenzinsen. Sie haben das Risiko ausgeblendet. Höhere Zinsen könnten viele Eigenheimbesitzer hart treffen - bis hin zur Zwangsversteigerung. Außerdem: Viele Anleger haben aufgrund der Nullzinspolitik ihr Geld in riskante Aktien und Anleihen gesteckt. Die Kurse sind zeitweise auf ein Rekordniveau gestiegen. Doch seit die Fed und die EZB angefangen haben, den Geldhahn nur ein wenig zuzudrehen, ist Hektik aufgekommen. Der deutsche Aktienindex Dax wird in diesem Jahr wohl mit einem Minus abschließen.

Auch in der Realwirtschaft ist eine Unwucht erkennbar. Unternehmen investieren mit billigem Geld in Projekte, die sich bei höheren Zinsen nicht mehr rechnen. Es gibt immer mehr solcher Zombiefirmen. Insgesamt sind die Staaten, Firmen und Haushalte weltweit heute höher verschuldet als 2008. Die Investmentbanken und Private-Equity-Fonds stricken wieder riskante Geschäfte auf Pump mit lockeren Kreditklauseln. Vieles erinnert an die Situation vor zehn Jahren, als die Krise ausbrach. Das billige Geld der Notenbanken trägt daran eine Mitschuld.

Es ist Zeit umzukehren. Die Währungshüter müssen in den Ring steigen gegen Politiker, die Angst haben vor höheren Kosten bei der Schuldenaufnahme. Die Notenbanker müssen den Finanzmärkten klar signalisieren, dass die Zeit der leichten Profite vorbei ist. Es gibt keinen Grund mehr, alle Welt mit billigem Geld zu versorgen. Das Wirtschaftswachstum ist solide, und die Inflation liegt auf einem gesunden Niveau.

Die Finanzgeschichte kennt viele Episoden, in denen Notenbanken vor den Karren der Regierungen gespannt wurden. Es ist nie gut ausgegangen, denn an deren Ende standen meist eine Spekulationsblase und Hyperinflation. Der Gedanke, eine Notenbank könne über die Druckerpresse den Wohlstand sichern, ist naiv. Die Alchemisten sind mächtig genug, um eine akute Krise zu bekämpfen. Doch für alles andere müssen die Parlamente die richtigen Entscheidungen treffen.

© SZ vom 30.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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