Kommentar:Ende des Versteckspiels

Noch vor einer Woche versuchte Siemens-Chef Klaus Kleinfeld, die Wogen zu glätten: Der Konzern beschäftige 164000 Mitarbeiter in Deutschland. Er könne keinen Grund sehen, warum er an dieser Größenordnung etwas ändern sollte.

Markus Balser

Doch das Bekenntnis zum Standort entpuppt sich mehr und mehr als sorgsam kalkulierter Harmonieschwenk ins Arbeitnehmerlager kurz vor der Bundestagswahl. Die Aussagen des Konzernchefs stehen in deutlichem Widerspruch zu den Plänen, die der Konzern derzeit hinter den Kulissen verfolgt.

Vielen Beschäftigten des Technologiekonzerns wird Angst und Bange angesichts des erwarteten massiven Arbeitsplatzabbaus in Deutschland. Mehrere tausend Stellen stehen auf dem Spiel, weitere zigtausend sollen in rechtlich selbständige Einheiten ausgegliedert werden.

Ein radikaler Umbau, der in der Geschichte des Konzerns seinesgleichen sucht. Statt weiter abzuwarten, wäre Kleinfeld gut beraten, das Rätselraten um die Lösung für seine Problemsparten möglichst rasch zu beenden. Er muss endlich Klarheit schaffen, um Mitarbeiter, Investoren und Kunden nicht weiter zu verunsichern.

Ende der Harmoniekultur

Schließlich setzt Kleinfeld auf den raschen Erfolg: Spätestens im Jahr 2007 sollen alle Konzernsparten die vom Zentralvorstand gesetzten ehrgeizigen Renditeziele erreichen.

Dass die Klarheit offenbar erst nach der Wahl kommt, werden Kritiker auch für neue Angriffe gegen Aufsichtsratschef Heinrich von Pierer nutzen, einen der profiliertesten Berater der Unions-Kanzlerkandidatin Angela Merkel.

Zu Recht fragen sich Investoren, warum der Konzern noch immer keine schlüssige Strategie für die Krisensparten präsentiert hat. Die Probleme sind bei Siemens schon lange ausgemacht. Es gibt etliche technologische Defizite, und die angeschlagenen Bereiche leben über ihre Verhältnisse.

Ein Beispiel ist die Kommunikationssparte Com: Großkunden wenden sich ab, weil der Konzern seine Technologieführerschaft verloren hat.

Ein harter Konkurrenzkampf verschärft die Situation. Dieser führt dazu, dass Kunden Angebote von Siemens zum Teil bis zu 80 Prozent unter den Listenpreis drücken können.

Und dennoch entsprechen die Personalkosten noch immer dem Gehaltsgefüge aus den Boomjahren der New Economy. An manchem Standort werden 40 Prozent der Beschäftigten über Tarif bezahlt.

Kleinfeld wird bei Siemens noch mit vielen Tabus brechen müssen. Die Harmoniekultur dürfte der seit Januar amtierende Chef des Technologiekonzerns wohl in den kommenden Monaten nicht mehr so häufig pflegen.

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