Kommentar:Eine Frage der Haltung

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Dass der US-Händler Walmart teilweise auf Waffenverkäufe verzichtet, kann man mutig finden - oder hasenfüßig. Fest steht: Es ist Aufgabe des Staates, schärfere Gesetze zu erlassen. Doch in dieser Frage erweist er sich seit Jahrzehnten als unfähig.

Von Claus Hulverscheidt

Wer ermessen will, welch epochaler Fall von Staatsversagen hier vorliegt, muss sich nur eine einzige Zahl anschauen: Seit Anfang Januar gab es in den USA 283 Amokläufe, bei denen der oder die Täter Menschen mit Feuerwaffen verwundeten oder gar töteten. 283 Taten, das ist mehr, als das Jahr bisher Tage hatte. In 16 vergleichbaren europäischen Ländern lag die Gesamtzahl der Fälle im selben Zeitraum bei exakt: null.

Während Donald Trump noch nach einem Weg sucht, der es ihm erlaubt, Handlungsfähigkeit zu simulieren, ohne die mächtige Waffenlobby NRA zu verärgern, zieht einer der direkt Betroffenen jetzt endlich Konsequenzen: Die Kaufhauskette Walmart, die Anfang August erleben musste, wie ein junger Mann in einer ihrer Filialen in El Paso 22 Menschen erschoss, stoppt den Verkauf von Munition für Pistolen und halb automatische Gewehre. Bisher stammt jede fünfte Kugel, die in den Waffenschränken und Schreibtischschubladen der USA lagert, aus den Regalen des weltgrößten Einzelhandelskonzerns. Zudem dürfen Walmart-Kunden Handfeuerwaffen ab sofort nicht mehr offen tragen.

Dass die Firma jetzt handelt, ist vor allem dem Schock geschuldet, den der Mörder von El Paso unter ihren Hunderttausenden Beschäftigten ausgelöst hat. Immer wieder haben sich Mitarbeiter in den letzten Wochen besorgt an Vorgesetzte gewandt, weil Kunden Pistolen am Gürtel trugen oder sich vermeintlich verdächtig verhielten. Hinzu kam politischer Druck von außen, als Firma, die selbst Waffen anbietet, ein Zeichen zu setzen und nach der Ausmusterung halb automatischer Waffen aus dem Sortiment auch den Verkauf von Schnellfeuermunition zu stoppen. Jagd- und Sportgewehre dagegen wird es im Walmart-Kaufhaus weiter geben.

Es ist ein Kompromiss, den man mutig nennen kann - oder hasenfüßig. Mutig, weil Walmart in Kauf nimmt, dass einzelne Kundengruppen den teilweisen Verkaufsstopp in diesen politisch aufgeheizten Zeiten als Attacke auf amerikanische Werte auffassen und zum Boykott aufrufen. Und hasenfüßig, weil der Konzern das Waffengeschäft nicht komplett aufgibt. Denn die Reaktion des Managements zeigt ja, dass man erkannt hat, wo das Problem liegt: Anders nämlich als von Trump behauptet, geht es mitnichten um einige wenige Irre im Land, die man nur auf einer Liste erfassen und vom Zugang zu Waffen abschneiden muss. Der Mann etwa, der vergangenen Samstag in Texas sieben Menschen erschoss, unter ihnen ein anderthalbjähriges Kind, stand längst auf einer solchen Liste psychisch labiler Menschen. Dennoch kam er ohne Schwierigkeiten an eine Art Sturmgewehr. Das eigentliche Problem ist die uneingeschränkte Verfügbarkeit von Waffen: Sie ist es, die - wenn einige unglückliche Umstände zusammenkommen - aus vermeintlich harmlosen Zeitgenossen Killer macht.

Natürlich lässt sich die Waffenepidemie in den USA nicht auf der Ebene eines einzelnen Unternehmens lösen, und sei es noch so groß. Solange es legal ist, Gewehre zu verkaufen, die an Kriegsgerät erinnern, wird es auch Menschen geben, die keine Skrupel haben, damit ihr Geld zu verdienen. Es ist Aufgabe des Staates zu handeln, eines Staates allerdings, der sich in dieser Frage seit Jahrzehnten als unfähig erweist und von dem auch in naher Zukunft außer Kosmetik nichts zu erwarten ist. Richtig wäre es, den Besitz von Waffen generell zu verbieten und nur Bürger auszunehmen, die etwa als Sportschützen registriert sind, einen Jagdschein besitzen oder in einer jener einsamen Gegenden wohnen, in denen nachts auch einmal ein Bär oder ein Puma ums Haus schleicht (von diesen Gegenden gibt es mehr, als viele Menschen in Deutschland glauben). Eine solche Reform aber ist wegen des verkorksten Verfassungsverständnisses vieler Rechtskonservativer nicht umsetzbar.

Deshalb ist es am Ende doch das einzelne Unternehmen, das sich positionieren muss - in der Waffenfrage wie in anderen wichtigen gesellschaftspolitischen Debatten. Das geht am besten, wenn das Management nicht jeden Fall isoliert diskutiert, sondern eine Art Unternehmenscredo definiert, ethische Grundwerte, die als Richtschnur dienen und auch die Sensibilitäten der Kunden berücksichtigen. So wird nachvollziehbar, warum eine Firma etwa in Fragen des Klimawandels, der Zuwanderung oder eben des Waffenbesitzes so reagiert, wie sie reagiert. Dass das geht, hat vergangenes Jahr die Fluggesellschaft Delta bewiesen, die nach einem Amoklauf an einer Schule in Florida ihre Rabatte für NRA-Mitglieder strich. Zwar hagelte es kurzzeitig Boykottaufrufe der Waffennarren, ein ernsthafter wirtschaftlicher Schaden aber entstand dem Konzern nicht.

© SZ vom 05.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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