Kommentar:Eine Chance für die ganze Welt

Alexander Hagelüken

Die Handelsorganisation WTO bereitet einen gigantischen Deal vor. Es geht um Zollsenkungen für Informationstechnik.

Von Alexander Hagelüken

Geschichte wiederholt sich nicht, heißt es. Mit allem Respekt vor diesem bekannten Diktum lässt sich vielleicht dennoch sagen, dass die Geschichte erstaunliche Zufälle hervorbringt. Zum Beispiel diesen: Wahrscheinlich haben sich die Deutschen noch nie so intensiv mit den mitunter spröden Handelsfragen beschäftigt wie in den beiden Jahren, seit der Streit um den TTIP-Vertrag mit den USA tobt. Und ausgerechnet jetzt meldet sich die Institution zurück, ohne deren Misserfolg es nie zu TTIP gekommen wäre: Die Rede ist von der Welthandelsorganisation WTO. Erst das zehnjährige Siechtum der globalen Doha-Runde brachte Europa überhaupt dazu, auf Einzelverträge wie TTIP zu setzen. Denn weltweite Abkommen wie Doha gelten nach wie vor als wirksamer - und als vorteilhafter für die ärmeren Länder der Erde, die so sehr auf Wohlstand hoffen.

Die Liberalisierung wird kein Kahlschlag

Die Welthandelsorganisation rückt wieder ins Blickfeld, weil sie dabei ist, erstmals seit 18 Jahren einen gigantischen Deal für den ganzen Erdball hinzukriegen. Es geht zum Beispiel um Unterhaltungselektronik und Telekommunikation. Solche Produkte sind für jede Volkswirtschaft bedeutender als Tuch und Wein, mit denen die Ökonomen des 19. Jahrhunderts ihre Exporttheorie illustrierten. Die Lehren von damals gelten jedoch auch heute: Freier Handel ist kein Nullsummenspiel, bei dem ganze Länder verlieren müssen, damit andere gewinnen. Alle Seiten können profitieren, wie der parallele Aufstieg der westlichen Staaten seit der Industrialisierung zeigt.

Und so demonstrieren die neuen Zollsenkungen bei der Informationstechnik (IT), was globale WTO-Abkommen zu leisten imstande sind. Deutsche Firmen werden mehr Produkte wie Medizintechnik oder Elektronik-Chips exportieren, bei denen sie stark sind. Deutsche Verbraucher dürften Spielkonsolen oder DVD-Player von außerhalb Europas billiger bekommen. Weil die Zollsenkungen für Waren von einer Billion Dollar im Jahr gelten, werden die Effekte beträchtlich sein, auch für die fragile Weltkonjunktur. Und trotzdem wird die Liberalisierung kein Kahlschlag: Europa hat Ausnahmen für seine verbliebenen Hersteller von Fernsehern und Autoradios durchgesetzt. Es ist also möglich, von der Marktöffnung zu profitieren und gleichzeitig individuellen Verlierern , die es immer gibt, zu helfen.

Dass die WTO erstmals seit 18 Jahren vor einem weltumspannenden Zoll-Deal steht, wirkt wie ein starkes Signal. Die große Frage ist, ob diese Dynamik die globale Doha-Runde beleben wird, die den Handel mit Waren und Dienstleistungen aller Art erleichtern soll. Ermutigend ist, dass sich beim IT-Abschluss viele jener Akteure geeinigt haben, die sich bei Doha bisher blockieren: China, Europa und die USA. Es gab wie bei Doha heikle Punkte und nationale Interessen zuhauf. Und trotzdem winkt am Ende ein Deal.

Andererseits: Bei den IT-Verhandlungen fehlten Staaten wie Indien, die gern bremsen. Doha umfasst auch ein breiteres Spektrum, also mehr Probleme. Nach wie vor gibt es zwei Grundkonflikte: China, Indien & Co. beanspruchen Schutzrechte armer Länder, sind aber längst potente Rivalen des Westens. Und der Westen will die Globalisierung forcieren, ohne seine Agrarsubventionen zu opfern.

Der IT-Abschluss sollte die Blockierer erinnern, welch immenser Gewinn ein Doha-Abkommen wäre. Weltweite Regeln helfen allen Staaten mehr als ein Flickenteppich von Verträgen à la TTIP. Besonders gilt das für arme Länder: Wirtschaftsnationen investieren ihre limitierte Energie lieber in Abkommen mit den USA als in solche mit Kambodscha oder den Kongo. So wird der arme Teil der Erde von der Globalisierung abgekoppelt, die doch seine Chance auf Wohlstand ist.

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