Kommentar:Ein "Weiter so" ist gefährlich

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Deutschland muss sich von der Braunkohle verabschieden, aus ökologischen und aus ökonomischen Gründen. Und das ziemlich schnell, damit die Menschen sich auf die Zeit danach vorbereiten können.

Von Varinia Bernau

Deutschland muss sich von der Braunkohle verabschieden. Aus ökologischen wie aus ökonomischen Gründen: Der Abbau der braunen Brocken ist ein tiefer Schnitt in die Landschaften. Und bei keinem anderen Rohstoff wird, wenn man daraus Strom gewinnen will, so viel klimaschädliches Kohlenstoffdioxid in die Luft geblasen. Auch die Unternehmen, die Kohle in der Lausitz, am Rhein und in der Mitte Deutschlands abbaggern, würden dieses Geschäft lieber heute als morgen loswerden. Das Geld, das sie im Großhandel derzeit für den erzeugten Strom erhalten, reicht kaum mehr, um die laufenden Kosten der Kraftwerke reinzuholen. Auch deshalb ist bei Vattenfall nun kaum ein ernst zu nehmendes Gebot für die Tagebaue und Kraftwerke in der Lausitz eingegangen.

Die entscheidende Frage ist also nicht, ob Deutschland den Ausstieg aus der Braunkohle wagt - sondern: wann?

Eine Stiftung, wie sie nun die Steag gemeinsam mit dem australischen Finanzinvestor Macquarie ins Spiel gebracht hat, um den Braunkohleausstieg in der Lausitz für die gesamte Republik zu erproben, ist deshalb ein guter erster Schritt. Aber auch noch nicht mehr. Denn um aus den riesigen Löchern von Wiesen und Wäldern umsäumte Seen zu machen, fallen Milliarden an. Wer dieses Geld in Zeiten, in denen der Strompreis stetig sinkt, mit der Braunkohle verdienen will, der wird die Tagebaue niemals schließen. Je weiter er aber mit den Baggern vordringt, desto höher steigen die Kosten für die spätere Rekultivierung dieser Landschaften. Und desto größer wird die Notwendigkeit, die Braunkohle weiter abzubauen. Das ist eine gefährliche Spirale.

Deshalb muss es neben der Stiftung auch ein Datum für einen Ausstieg geben. Dieses muss die Bundesregierung festlegen. Und sie muss sich an dieses Versprechen halten. Ein Zickzackkurs wie beim Atomausstieg hilft niemandem. Verlässlichkeit ist nicht nur für Investoren wichtig: Sie müssen kalkulieren, bis wann sie das Geld erwirtschaftet haben werden, das für den Rückbau und die Rekultivierung anfallen wird. Verlässlichkeit brauchen aber auch die Menschen in den Braunkohlerevieren. Sie müssen wissen, wie lange die Gruben und die Kraftwerke ihnen noch einen Job bieten werden - und was danach kommen wird.

Diese Frage ist weitaus wichtiger als die, ob nun eine private Stiftung, der Staat oder einzelne Unternehmen über diesen Wandel wachen sollen. Eine Antwort darauf zu finden, wird schwierig. Im Osten Deutschlands vermutlich noch mehr als im Westen. Denn dort haben die Menschen schon einmal erlebt, was es bedeutet, wenn von einem auf den anderen Tag alles zusammenbricht. In der Lausitz, wo Vattenfall derzeit noch der wichtigste Arbeitgeber ist, könnte sich dies nun auf tragische Weise wiederholen.

Dort, wo einst Kohle abgebaggert wurde, lassen sich, sobald die Löcher zugeschüttet sind, Wind- und Solarparks errichten. Aber wird das reichen, um allen einen neuen Job zu geben? Mit gutem Willen lässt sich ein Kohlekumpel vermutlich umschulen, um eine Turbine zu warten. Aber gebaut werden diese Turbinen nun einmal von Unternehmen, die sich längst anderswo angesiedelt haben. Ebenso wie die Einrichtungen, die an Speichertechnologien für den mit dem Wetter schwankenden Ökostrom forschen.

Es muss endlich ein konkretes Datum für den Ausstieg geben

Wie sollen also die Regionen zwischen Aachen und Köln, zwischen Hoyerswerda und Guben in 15 oder auch 30 Jahren aussehen? Wovon sollen die Menschen dort leben? Und was gilt es zu tun, damit dieser Wandel gelingt? Solange es kein konkretes Datum für einen Kohleausstieg gibt, wird diese wichtige Debatte weiter aufgeschoben. Dann werden die Gewerkschafter die Kohlekumpels lieber weiter vorm Kanzleramt aufmarschieren lassen und so ihre Macht demonstrieren - statt ihren Mitgliedern mit Bildungsangeboten bei der beruflichen Neuorientierung zu helfen. Und dann werden Landespolitiker aus Brandenburg, Sachsen und Nordrhein-Westfalen weiterhin den Bundeswirtschaftsminister gegen die Bundesumweltministerin auszuspielen versuchen - statt mit beiden nach den richtigen Leitplanken für den Wandel zu suchen.

Die Augen so zu verschließen und auf dem "Weiter so" zu beharren, ist unverantwortlich: Der Ruhestand einiger Kohlekumpels lässt sich so vielleicht vergolden. Eine Perspektive für die Menschen, die in 30 Jahren noch in den Braunkohlerevieren leben, ist es nicht.

© SZ vom 17.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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