Kommentar:Ein Sommerkleid im Januar

Kommentar: Illustration: Bernd Schifferdecker

Illustration: Bernd Schifferdecker

Im Kompromiss zur Grundrente stecken lauter Ungerechtigkeiten. Das Ziel dahinter hätte die Bundesregierung auch anders erreichen können.

Von Henrike Roßbach

Manchmal ist man ja sehr müde. Etwa am Morgen nach dem Abend, an dem man noch dieses Buch zu Ende lesen wollte. Müde machen aber nicht nur kurze Nächte, sondern auch lange Debatten. Etwa die mit der Tochter, ob ein blau-weiß-gestreiftes Sommerkleid die angemessene Wahl ist für einen Januartag im Kindergarten ("Ich zieh was drunter, Mama!"). Oder die, wie man eine anständige Grundrente hinkriegt. Doch während es durchaus ratsam sein kann, die Vierjährige schlicht in besagtem Kleid in einen Schneeanzug zu stecken, ist "Hauptsache geschafft" für die Bewertung länglicher Politikdebatten keine taugliche Kategorie.

Bei der Grundrente droht jedoch genau das. Diese Woche hat Sozialminister Hubertus Heil (SPD) seinen Entwurf an die anderen Ressorts verschickt, und auch wenn es auf dem Weg ins Kabinett und durch den Bundestag noch Änderungen geben dürfte: Die Wahrscheinlichkeit eines Scheiterns ist deutlich gesunken. Dass nun viele erleichtert aufseufzen, ist verständlich. Schließlich ist Heil der dritte Minister, der sich an dieser Idee versucht. Doch was lange währt, wird eben nicht immer gut. Die Grundrente, wie sie nun kommen soll, hat Schwächen.

Zum Beispiel die, dass Gleiches nicht mehr gleich behandelt wird.

Die Idee ist, die Renten langjähriger Geringverdiener aufzuwerten. Profitieren soll, wer mindestens 33 Jahre in die Rentenkasse eingezahlt, aber nur wenig verdient hat; den vollen Zuschlag bekommt man nach 35 Jahren, und Einkommen aus anderen Quellen wird teilweise angerechnet. Unter denen, die all diese Bedingungen erfüllen, wird es aber neben den zufriedenen Grundrentnern auch solche geben, die zwar ziemlich genau das gleiche geleistet haben, aber trotzdem weiter zum Sozialamt müssen. Weil sie das Pech haben, in einer teuren Stadt zu wohnen oder keine Wohnung zu besitzen, so dass sie sich mit der Grundsicherung im Alter - plus dem parallel zur Grundrente ebenfalls geplanten Freibetrag auf ihre eigene Rente - besserstellen. Ihnen, und nur ihnen, mutet man genau das weiter zu, was in der Grundrentendebatte (von der SPD) stets als unzumutbar bezeichnet wurde: eine strenge Bedürftigkeitsprüfung wie bei Hartz-IV.

Ungerecht ist auch, dass zwei Rentner mit exakt gleich vielen Rentenpunkten auf unterschiedlich hohe Renten kommen können. Etwa wenn der eine sie in 32, der andere in 33 Jahren gesammelt hat. Ungleiches dagegen kann künftig zu gleich hohen Renten führen: Nach einem Arbeitsleben in Teilzeit (bei Paaren steuerlich begünstigt durch das Ehegattensplitting) wird die Rente unter Umständen so aufgestockt, dass sie das Niveau eines Rentners erreicht, der immer Vollzeit gearbeitet hat, aber ganz knapp keinen Anspruch mehr auf die Grundrente hat.

Noch gar nicht besprochen übrigens ist an dieser Stelle, dass die Kosten von 1,4 Milliarden Euro im Jahr mit einer noch nicht beschlossenen Steuer auf Aktienkäufe bestritten werden sollen - während selbst die vorsichtigsten Verbraucherschützer den Deutschen dringend zur Altersvorsorge mit Aktien raten.

Das ursprüngliche Ziel der Grundrente bestreitet kaum jemand: dass jeder, der gearbeitet hat und trotzdem nicht über die Runden kommt, im Alter mehr haben soll als diejenigen, die das nicht getan haben. Das aber hätte man gerechter mit einer Neuaufstellung der Grundsicherung im Alter hingekriegt. Niederschwellig, ohne strenge Hartz-IV-Prüfung und mit Freibeträgen für die Rente. Nun aber steht eine Art Sommerkleid-im-Schneeanzug-Lösung in der politischen Landschaft, und Kritik daran wird kurzerhand mit sozialer Kaltherzigkeit gleichgesetzt. So beendet man vielleicht Debatten. Probleme aber löst man so nicht.

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