Süddeutsche Zeitung

Kommentar:Ein Pakt für Wachstum

Nach dem Brexit-Votum steht Deutschland mit seinem Spar-Mantra ziemlich alleine da. Im Sinne einer klugen europäischen Wirtschaftspolitik muss die Regierung mehr Schulden akzeptieren - und auch selbst welche machen.

Von Alexander Mühlauer

Wie sie da auf dem Flugzeugträger standen, an diesem Sommerabend im August, konnte man fast auf den Gedanken kommen, die drei EU-Kapitäne würden es schon schaffen, das sprichwörtliche Ruder herumzureißen. Doch dann machten sie den Mund auf. Jeder von ihnen wollte zwar so etwas wie Gemeinsamkeit demonstrieren, aber am Ende offenbarte der Dreiergipfel einmal mehr, wie unterschiedlich sich Europas Protagonisten die Zukunft der EU nach dem Brexit-Votum vorstellen.

Mal abgesehen von der übereinstimmenden Forderung nach mehr Sicherheit in Zeiten latenter Terrorgefahr, gibt es, neben der Bewältigung der Flüchtlingskrise, noch immer ein zentrales Thema, das Deutschland, Frankreich und Italien entzweit: die Frage, wie Europa endlich zu mehr Wachstum und wirtschaftlicher Stabilität finden kann.

Roms Premierminister Matteo Renzi, der mit dem ihm eigenen Sinn für große Gesten zum trilateralen Treffen auf die Mittelmeerinsel Ventotene geladen hatte, will jedenfalls mehr Ausnahmen von der Regel. Er möchte, wie er so schön formuliert, mehr "Flexibilität" bei den Kriterien des Stabilitätspakts - also mehr Schulden machen. Auch Frankreichs Präsident François Hollande hat nichts dagegen, das belegen allein schon die Haushaltszahlen aus Paris. Jahr um Jahr verstößt Frankreich gegen die Defizitregeln. Bundeskanzlerin Angela Merkel wiederum ist der Meinung, dass der Pakt bereits "eine Menge an Flexibilität beinhaltet, die wir klug anwenden müssen".

Es ist wie so oft in Europa: Aus innenpolitischem Druck streben die Staats- und Regierungschefs in unterschiedliche Richtungen. Renzi hat mit angeschlagenen Banken zu kämpfen und ein Verfassungsreferendum mit ungewissem Ausgang vor sich. Hollande gleicht, acht Monate vor der Präsidentschaftswahl, einem Getriebenen, der weder die Sicherheitslage noch die schwache Wirtschaft in den Griff bekommt. Und Merkel? Seit den IS-Attacken sinken ihre Zustimmungswerte und ihrer Partei droht bei den Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin das Ausscheiden aus beiden Regierungen. Immerhin ist die deutsche Wirtschaft robust.

Nach dem Brexit-Votum steht Deutschland mit seinem Spar-Mantra ziemlich alleine da

Doch selbst die erfreulichen ökonomischen Daten werden der Bundesregierung in der Debatte um einen neuen Kurs der europäischen Wirtschaftspolitik kaum helfen. Berlin steht mit seinem Mantra des Sparens ziemlich alleine da. Nachdem sich die Briten für den Brexit entschieden haben, ist Deutschland das einzige große EU-Land, dem es finanziell gut geht und das sich klar zu den Regeln des Stabilitätspakts bekennt.

Wobei auch dieses Bekenntnis erste Risse bekommen hat. Als es vor zwei Wochen darum ging, ob Spanien wegen chronisch hoher Defizite bestraft werden sollte, machte Finanzminister Wolfgang Schäuble einen bemerkenswerten Rückzieher. Obwohl die EU-Verträge ausdrücklich Sanktionen vorsehen, griffen die EU-Finanzminister nicht ein. Schäuble erweckte den Anschein, als hätte er mit dieser Entscheidung nichts zu tun; was nicht stimmt und nur dazu diente, das wahre Kalkül zu verschleiern. Der CDU-Mann wollte seinen konservativen spanischen Parteifreunden einfach nicht wehtun. (Was Schäuble wiederum nicht davon abhielt, die EU-Kommission für ihren laxen Umgang mit dem Pakt zu kritisieren.)

Dieses Verhalten ist gefährlich. Denn wer öffentlich das Hohelied der deutschen Stabilitätskultur anstimmt, muss sich auf europäischer Bühne auch daran halten. Ansonsten bringt sogar jemand wie Schäuble jene Bürger gegen sich auf, die im Bundesfinanzminister den letzten Verfechter bundesrepublikanischer Werte in Brüssel sehen. Tun sie das nicht mehr, besteht die Gefahr, dass sie sich jenen Populisten zuwenden, die einst als Anti-Euro-Partei begonnen haben.

Und damit wäre man genau an dem Punkt, der Deutschland, Italien und Frankreich derzeit am ehesten verbindet: die Angst vor Populisten, die das Heil Europas in der Rückkehr zum Nationalstaat sehen. Im Sinne einer klugen und verantwortungsvollen Wirtschaftspolitik kann die Antwort darauf nur lauten: Das starke Deutschland muss seinen Verbündeten helfen und bereit sein, mehr Schulden zu akzeptieren. Schulden sind an sich ja nichts Schlechtes, vorausgesetzt, es finden parallel dazu Strukturreformen statt. Auch Deutschland braucht mehr Investitionen in Infrastruktur, Bildung und Wohnungsbau. Berlin würde damit ein Signal setzen, das andere Staaten mitziehen kann auf einen Pfad des Wachstums.

In der Geschichte der EU waren es stets ökonomische Ziele, die Europas Gemeinschaft stärker gemacht haben. Warum sollte es nicht wieder so sein?

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SZ vom 24.08.2016
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