Kommentar:Ein Mann für Millionen

Friedrich Merz hat sich mit seiner Mittelstandsdefinition geschadet. Statt den Fehler zuzugeben, macht er alles noch schlimmer. Fragt sich, wie seine Politik aussähe.

Von Alexander Hagelüken

Friedrich Merz erobert als Kandidat für den CDU-Vorsitz Sympathien. Es nutzt ihm in diesen politikermüden Zeiten, dass er anders als seine Rivalen zuletzt kein Politikeramt hatte, sondern Erfolg in der Wirtschaft. Er hatte anders als die meisten Politiker in der Wirtschaft sogar sehr viel Erfolg. Nun tritt er eine Debatte los, die ihn Sympathien kostet und dabei wichtige Fragen aufwirft: Gehören Millionäre zur Mittelschicht? Müssen die Wähler von einem Millionär Politik für Millionäre befürchten?

Es war nicht Merz' wirtschaftlicher Erfolg, der die Debatte los trat, sondern Merz selbst: Mit seiner Aussage, er rechne sich, obschon Millionär, zur "gehobenen Mittelschicht". Dabei verdient er nach allen wissenschaftlichen Definitionen mit einer Million Euro brutto im Jahr ein Vielfaches der Mitte.

Reiche sind nicht per se die schlechteren Politiker. Die besseren sind sie sicher nicht

Schließen sich Millionärsein und Mittelschicht zu 100 Prozent aus? In Ausnahmefällen nicht. Einzelne Bürger verdienen unspektakulär, leben jedoch zum Beispiel in einem Eigenheim, das nach dem jüngsten Preisboom eine Million Euro wert ist. Dann wären sie, jedenfalls sobald sie den Kredit abbezahlt haben, Millionäre. Ohne vielleicht das Haus versilbern zu können, weil ihre Familie keine bezahlbare Mietwohnung findet. Man wird diese Menschen vielleicht zur Mittelschicht rechnen. Merz mit seinen zwei Privatflugzeugen, der nicht nur (mindestens) eine Million besitzt, sondern eine Million im Jahr verdient, zählt eindeutig zur Oberschicht.

Statt einfach seinen Fehler zuzugeben, macht es der Kandidat nun schlimmer. Er zählt sich nach seinen Worten nicht zur Oberschicht, weil er dabei an Erben denkt, die ihr Leben genießen. Sollen die Wähler einem Politiker trauen, der jenseits aller Fakten seine eigenen Definitionen zurecht strickt? Gesteht Merz seinen Irrtum nicht bald ein, macht er sich unmöglich.

Warum sich der Wirtschaftsanwalt unbedingt zur Mitte rechnen will, lässt sich nachvollziehen. In Italien, den USA oder Osteuropa bringt es Wählerstimmen, wenn einer Reichtum zeigt. In Deutschland dagegen ist ein Millionär nicht populär. Manche erklären dies mit Neid. Ohne Wertung lässt sich sagen, dass die Bundesrepublik egalitär tickt. Bescheidenheit gilt mehr als Trotz. Das Ziel der meisten ist, zur Mitte zu gehören. Oben? Muss nicht. Unten? Bloß nicht.

Es lässt sich auch sagen, dass die Bundesrepublik 70 Jahre lang gut ohne viele Millionäre in der Politik gefahren ist. Der Milliardär Silvio Berlusconi wirtschaftete Italien herunter, der Milliardär Donald Trump tut Gleiches mit den USA. Tschechiens Milliardärspremier Andrej Babiš wird gerade vorgeworfen, einst EU-Zuschüsse abgezweigt zu haben. Reiche sind nicht per se die schlechteren Politiker. Die besseren sind sie sicher nicht.

Die Erregung über Merz' Mitte-Lapsus ist wohl besonders groß, weil viele Deutsche gerade selbst über ihren Status verunsichert sind. Für sie geht es aber nicht wie bei Merz darum, Millionen kleinzureden. Sie fürchten den Abstieg.

Jahrzehntelang hielt es die Gesellschaft zusammen, dass Aufstieg möglich schien. Ein Platz in der Mitte war das Ziel, nicht unbedingt Reichtum. Die Mittelschicht umfasste einen größeren Teil der Bevölkerung als je in Italien oder den USA. Viele Arbeiter sahen sich nicht mehr als Teil einer Proletarierklasse, die das Kapital bekämpfen muss. Ihre Zufriedenheit mit dem Wirtschaftssystem sorgte für sozialen Frieden, von dem die Unternehmen profitierten.

In den vergangenen 25 Jahren allerdings kündigten viele deutsche Unternehmen ihren Teil der Vereinbarung auf. Sie bezahlen keine Tariflöhne mehr, was immer die Basis einer breiten Mitte war. Die Mittelschicht schrumpfte, natürlich auch aus anderen Gründen. Die Globalisierung nutzt zwar vielen, aber sie drückt manche Löhne in der Mitte. Und die deutschen Politiker entlasteten in den vergangenen 25 Jahren vor allem Unternehmen und Reiche von Steuern und Abgaben, aber nicht die Mitte.

Womit wir wieder bei Friedrich Merz wären. Was die verunsicherte Mittelschicht jetzt braucht, sind Politiker, die sich um sie kümmern. Dass einer als Wirtschaftsanwalt Erfolg hatte, schließt ein solches Kümmern nicht aus. Der US-Milliardär Warren Buffett besitzt ja auch genug Einsicht, zu sagen, dass Reiche wie er in den USA zu wenig Steuern zahlen. Er behauptet allerdings nicht, zur Mittelklasse zu gehören.

Wenn sich Merz endlich ehrlich macht, haben die Deutschen keinen Grund, ihm wegen seiner Millionen zu misstrauen. Sie sollten nur genau hinschauen, ob er auch Millionärspolitik vorschlägt. Den Solidaritätszuschlag für alle abzuschaffen etwa, wie Merz es fordert, nutzt vor allem Besserverdienern wie ihm selbst.

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