Süddeutsche Zeitung

Kommentar:Drohender Machtverlust

Es ist verständlich, dass viele Europäer den Mercosur-Vertrag der EU mit Südamerika ablehnen. Andererseits könnte der Vertrag auch Einfluss auf die dortige Umweltpolitik nehmen.

Von Björn Finke

Der Rücktritt von EU-Handelskommissar Phil Hogan kommt zu einem ungünstigen Zeitpunkt, denn in seinem Beritt stehen gerade schwierige Themen an: etwa das umstrittene Handelsabkommen mit dem südamerikanischen Wirtschaftsblock Mercosur, das die Kommission vorbereitet hat. Die EU-Handelsminister werden sich wohl im November erstmals damit befassen. Dieser Vertrag mit Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay würde die größte Freihandelszone der Welt schaffen. Die meisten Zölle würden gestrichen; Unternehmen könnten einfacher exportieren und Verbraucher sich über mehr Auswahl und niedrigere Preise freuen - die üblichen Segnungen von Freihandelsverträgen.

Trotzdem sind die Widerstände gewaltig. Das österreichische und niederländische Parlament forderten ihre Regierungen auf, nicht zuzustimmen. Frankreich droht ebenfalls mit einem Veto. Zuletzt äußerte sich auch Kanzlerin Angela Merkel skeptisch. Daher könnte das Abkommen scheitern. Das aber wäre fatal und ließe das Schlimmste für die Zukunft der europäischen Handelspolitik befürchten.

Dem Mercosur-Handelsvertrag droht das Aus. Aber das wäre ein ganz schlimmes Signal

Dabei sind die Bedenken der Gegner durchaus nachvollziehbar. Umwelt- und Klimaschützer beklagen zu Recht die massiven Brandrodungen am Amazonas und die Tatsache, dass der populistische Präsident Brasiliens, Jair Bolsonaro, nicht genug dagegen tut. Der Freihandelsvertrag soll es den vier Mercosur-Mitgliedern erlauben, mehr Rindfleisch zu äußerst niedrigen Zöllen in die EU zu verkaufen. Dieses Exportkontingent ist zwar winzig verglichen mit dem Ausstoß der dortigen Fleischindustrie. Dennoch ist die Sorge nicht abwegig, dass der Vertrag und steigende Fleischlieferungen in die EU zu mehr Rodungen für Weideflächen führen.

Auf der anderen Seite enthält der Vertrag aber auch Sozial- und Umweltvorschriften. So verpflichtet er die Länder auf die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens. Brasiliens Regierung muss demzufolge die illegale Rodung stoppen und Wälder aufforsten. Die EU kann also über die Vereinbarung Bolsonaros Politik zum Guten beeinflussen. Dieser Hebel fiele weg, würden die EU-Staaten die Ratifizierung des Abkommens verweigern. Dem Regenwald wäre damit nicht gedient - im Gegenteil: Im Zweifel würde Brasiliens Regierung dann versuchen, engere Bande zu anderen Handelspartnern weltweit zu knüpfen, denen Ökostandards weniger wichtig sind, etwa China oder die USA.

Kritiker monieren allerdings, Umwelt- und Sozialklauseln in Freihandelsverträgen seien zahnlos. Verstöße hätten keine ernsten Folgen. Diese Einwände sind leider berechtigt. So wirft Brüssel Südkorea seit zwei Jahren vor, Arbeitsrechtsstandards aus dem Handelsabkommen zu missachten, und eine Lösung des Streits ist nicht in Sicht. Die niederländische und französische Regierung fordern daher in einem gemeinsamen Positionspapier, die Abkommen müssten einfachere und abschreckendere Strafmechanismen vorsehen: So sollten Zölle bei Vertragsbrüchen schnell wieder erhöht werden. Der neue Handelskommissar sollte diese Anregung aufnehmen; ohnehin will die Behörde in den nächsten Monaten eine modernisierte Handelsstrategie verabschieden.

Für den fertig verhandelten Mercosur-Vertrag kommen derartige Neuerungen zu spät. Doch könnte Bolsonaro zum Beispiel Zusagen machen, wie er die Klimaschutzvorgaben umzusetzen gedenkt. So eine Geste guten Willens könnte kritische EU-Regierungen umstimmen - und würde dem Regenwald helfen. Klar ist in jedem Fall, dass die EU mit Vertrag mehr bewegen kann als ohne. Denn solche Handelsabkommen bringen nicht nur Jobs und Wohlstand, sondern sind auch eines der wirksamsten Werkzeuge, um Einfluss zu nehmen und Europas Interessen auf anderen Kontinenten zu verteidigen. Die EU ist zwar keine Militär-, aber eine Wirtschaftsmacht. Regierungen weltweit wollen ihren Firmen besseren Zugang zum riesigen europäischen Markt verschaffen. Im Gegenzug kann Brüssel in den Handelsverträgen Zugeständnisse verlangen.

Deswegen wäre es ein ganz schlimmes Zeichen, sollte die Ratifizierung des Mercosur-Vertrags platzen. Freunde des Freihandels spüren ohnehin reichlich Gegenwind; viele Politiker argumentieren, die Lieferengpässe während der Pandemie bewiesen, dass die Globalisierung zu weit gegangen sei. Ein Aus für das Abkommen würde nun bedeuten, dass es in Brüssel auf absehbare Zeit keinen politischen Willen gibt, ehrgeizige Handelsverträge mit Wachstumsregionen abzuschließen.

Das würde Europas Einfluss in der Welt kräftig schmälern - und den Nutzen der EU für ihre Mitglieder: ein hoher Preis.

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SZ vom 31.08.2020
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