Lohnpolitik:Warum die Löhne für die Deutschen steigen müssen

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Eine Mercedes-Benz-Mitarbeiterin in Sindelfingen (Foto: Krisztian Bocsi/Bloomberg)

Angesichts weltweiter Turbulenzen gibt es für die deutsche Wirtschaft allen Grund zur Sorge. Nicht nur deshalb sollten die Menschen hierzulande mehr verdienen.

Kommentar von Alexander Hagelüken

An Warnungen herrschte 2015 kein Mangel. Ob aus China, Griechenland oder Rohstoffnationen wie Brasilien und Russland: Von überall her sahen Skeptiker Gefahren für die Bundesrepublik. Und doch: Am Ende meldeten die Statistiker an diesem Donnerstag, dass die deutsche Volkswirtschaft im Jahr 2015 mit einem Plus von 1,7 Prozent so stark gewachsen ist wie seit vier Jahren nicht mehr.

Zu viel Aufregung also? Zur Entwarnung gibt es keinen Grund. Denn die Turbulenzen der erwähnten Länder haben die Nachfrage nach deutschen Produkten tatsächlich gedämpft. Und sie werden es dieses Jahr erneut tun. Der Export, nach Meinung vieler die Basis unseres Wirtschaftsmodells, steht unter Druck. Und das wird zum Problem. Der Welthandel expandiert seit Jahren nur halb so stark wie in den Dekaden zuvor. Die Globalisierung gerät ins Stocken. Nein, es lag kaum an den Exporten, dass 2015 für die deutsche Volkswirtschaft gut ausging. Es lag an der Inlandsnachfrage. Höhere Einkommen, von denen auch nach Inflation viel blieb, ließen die Bürger viel ausgeben.

Das bedeutet: Falls die Exporte anfällig bleiben, hängt es stark vom Konsum ab, ob die Volkswirtschaft weiter wächst und alle gesellschaftlichen Ansprüche erfüllt, die sich damit verbinden. Es hängt also davon ab, ob die Deutschen weiter spürbar mehr verdienen, so wie es 2014 und 2015 mit real etwa zwei Prozent der Fall war. Danach sieht es aber nicht aus. Die Preise könnten, nachdem sie voriges Jahr kaum gestiegen sind, dieses Jahr um mehr als ein Prozent anziehen. Zugleich wollen die Arbeitgeber, etwa in der Metallbranche, niedrigere Abschlüsse durchsetzen. Damit steuert die Bundesrepublik auf ein konjunkturelles Problem zu. Ändern könnte das eine großzügigere Lohnpolitik, an der sich Arbeitgeber und Gewerkschaften genauso beteiligen müssten wie die Regierung. Doch wer so etwas vorschlägt, dem wird in Deutschland schnell Linksdrall unterstellt.

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Kommentar von Alexander Hagelüken

Wachstum gilt hierzulande meist als gut, wenn es sich aus Investitionen und vor allem Exporten speist. Der Binnenkonsum dagegen steht unter dem Generalverdacht, unsolide zu sein. Wer einkauft, sündigt, während andere schaffen; und wenn die Bürger mehr kaufen, kann das nur an übertriebenen Lohnabschlüssen liegen. Das aber ist Unsinn. Es gibt kein gutes oder schlechtes Wachstum, sondern nur künstliches oder nachhaltiges. Am stabilsten navigiert ein Land durch die Wetter der Weltwirtschaft, wenn es auf eine Mischung aus Export und Konsum setzt. Auf draußen und drinnen.

Kein Grund zur Entwarnung: Die Turbulenzen schaden auch Deutschlands Exporten

Konkret: Es wäre verkehrt, an der deutschen Exportkraft zu rütteln, wie es manche europäischen Partner gerne tun. Aber es ist auch verkehrt, sich zu wenig um die Kaufkraft der Bürger zu kümmern, wie es in der Bundesrepublik vorkommt. Die harte Lohnzurückhaltung der Nullerjahre hatte nicht nur Handelsüberschüsse zur Folge, weil Exporte dadurch billiger wurden; sie ließ auch die Ersparnisse gewaltig anwachsen - viele Milliarden verdampften deshalb, teils im Ausland, in fragwürdigen Geldanlagen.

Gewiss: Die Kaufkraft hierzulande ist auch deshalb so hoch, weil Politik und Tarifpartner die Voraussetzungen für den aktuellen Beschäftigungsrekord von 43 Millionen Menschen geschaffen haben. Wer einen Job hat und nicht mehr arbeitslos ist, der hat auch Geld zum Einkaufen. Nun aber wäre der nächste Schritt fällig: Die Löhne sollten für möglichst viele Menschen stärker steigen.

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Es würde helfen, wenn die Unternehmen die teils ordentlichen Lohnabschlüsse der beiden vergangenen Jahre nicht als ärgerliche Ausreißer betrachten, sondern als Orientierung für die Zukunft. Wer seinen Mitarbeitern den Tariflohn raubt, ist kein Manager des Jahres, sondern oft nur ein ideenloser Kostendrücker. Dass in wirtschaftlich so guten Zeiten mancherorts Löhne und Gehälter von weniger als 60 Prozent des Tariflohns bezahlt werden, lässt sich kaum rechtfertigen.

Die Kaufkraft zu stärken, ist aber auch Aufgabe der Politik. Deutsche Firmen können nicht einfach die Löhne erhöhen, sie stehen im Wettbewerb mit internationaler Konkurrenz oder dem nächsten disruptiven digitalen Geschäftsmodell. Wenn die Politik Bürokratie abbaut und die Infrastruktur verbessert, erleichtert sie es den Firmen, ihre Produktivität zu steigern - und dies in Form höherer Löhne weiterzuverteilen. Zentral wäre es auch, das Netto der Arbeitnehmer zu stärken und die Steuern auf geringe und mittlere Einkommen stärker zu senken.

Es gibt viele Möglichkeiten. Die Politik sollte es als Gesamtstrategie begreifen, die Kaufkraft zu stärken - und es der Volkswirtschaft damit ermöglichen, auf mehr als nur Exporte zu setzen.

© SZ vom 14.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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