Kommentar:Digital wird anders

In der neuen Wirtschaftswelt werden massenhaft traditionelle Jobs wegfallen. Arbeitnehmer werden nur in neue Rollen hineinwachsen, wenn Unternehmen und Politik es als zentrale Aufgabe begreifen, ihnen zu helfen.

Von Alexander Hagelüken

Mancher deutsche Manager verbreitet, Mitarbeiter engagierten sich im Beruf weniger als früher. Dem widerspricht die tägliche Anschauung in den Betrieben. Von einer Freizeitgesellschaft erscheint die Bundesrepublik weit entfernt. Im Gegenteil: Eine Umfrage der Beratungsfirma EY zeigt, wie sehr die Deutschen über ihre Zukunft nachdenken. Eine Mehrheit will auf Freizeit und Urlaub verzichten, um sich in Lehrgängen auf die digitale Ära vorzubereiten. Auch eigenes Geld wollen die Arbeitnehmer opfern - jeder vierte mehr als 1000 Euro. Solches Engagement wird mit Sicherheit gefordert sein. Aber: Es wird nicht reichen.

Techniker und Ökonomen sehen die Berufswelt vor dramatischeren Umbrüchen als in vielen Jahrzehnten davor. Die Forscher Michael Osborne und Carl Benedikt Frey gehen sogar davon aus, dass bald etwa jeder zweite Job durch Maschinen ersetzbar sein wird. Dem widersprechen andere Wissenschaftler. Sie erwarten einen langsameren Wandel - und unterm Strich wie in anderen geschichtlichen Phasen der Technikangst womöglich genauso viele menschliche Arbeitsplätze wie zuvor. In einem allerdings sind Skeptiker und Optimisten einig: Es werden andere Arbeitsplätze sein.

Es wird in Zukunft nicht unbedingt weniger Jobs geben - aber mit Sicherheit andere

Roboter und Computer werden mechanische, einfachere Aufgaben übernehmen, ob in der Fabrik oder im Büro. Der Mensch wird mehr für seine Kreativität gefragt sein. Für sein aus Erfahrung gespeistes Urteil, für die Reaktionsfähigkeit auf unerwartete Ereignisse, für Einfühlsamkeit gegenüber Kunden, Patienten, Schülern oder Kollegen. Dieser Wandel muss erlernt werden.

Deshalb stimmt es nachdenklich, dass Untersuchungen den deutschen Firmen immer wieder bescheinigen, sich zögerlich auf die digitale Ära vorzubereiten - gerade was ihre Mitarbeiter betrifft. In der erwähnten EY-Umfrage geben etwa drei Viertel der Beschäftigten an, ihr Beruf habe sich durchs Digitale schon verändert. Genauso viele wünschen sich von der Firma mehr Möglichkeiten, sich weiterzubilden. Es geschieht also zu wenig.

Es wirkt ermutigend, dass sich die Arbeitnehmer selbst für ihre Zukunft einsetzen wollen. Aber sie können diese Aufgabe nicht alleine bewältigen, weder fachlich noch finanziell. Die Unternehmen tragen durchaus gesellschaftliche Verantwortung, an ihre Mitarbeiter zu denken. Die Firmen spielen eine zentrale Rolle. Ganz allgemeine Lehrgänge in externen Institutionen helfen sicher. Aber damit Arbeitnehmer die betrieblichen Anforderungen von heute und morgen erfüllen, bedarf es auch praxisnaher Inhalte: Fortbildung eng am Geschäftsmodell der Firma.

Die Personalabteilungen sollten sich überall daranmachen, Konzepte zu entwerfen, die dann die operativen Teile der Firma inhaltlich umsetzen. In diesem Zusammenhang fällt es auf, dass Mitarbeiter ihren Personalabteilungen in der Qualifizierungsfrage wenig Kompetenz zutrauen. Offenbar sind zu viele der Verantwortlichen entweder reine Kostendrücker oder drehen sich in Bla-Bla-Wolken von Agilität und New Work um sich selbst. Schon dass der Berufsstand immerfort von Etsch Ar (Human Resources) redet, wo es deutsche Begriffe wie Personal täten, zeugt von Selbstverliebtheit.

Ein Umbruch vom historischen Ausmaß der Digitalisierung ruft auch nach der Politik. Die aktuelle Bundesregierung hat immerhin ein Recht verankert, sich über Weiterbildung vom Arbeitsamt beraten zu lassen. Auch werden mehr Maßnahmen für Beschäftigte finanziell unterstützt, die vom Strukturwandel betroffen sind. Das kann aber nur der Anfang sein. Für dieses Jahr hat die Regierung eine nationale Weiterbildungsstrategie angekündigt. Ob die modern genug ist, wird sich erst noch erweisen.

An Ideen fehlt es nicht. Wie wäre es, wenn der Staat und die Wirtschaft jedem Arbeitnehmer ein Konto einrichten, aus dem er während seines Berufslebens immer wieder zusätzliche Qualifikationen finanzieren kann? Und wie lässt sich sicherstellen, dass Beschäftigte in kleineren Betrieben zukunftsfest werden, wo sich kein Verwaltungsapparat der Frage annimmt?

Die digitale Ära muss für Arbeitnehmer kein Schrecken werden. Wenn Jobs künftig mehr Kreativität, Eigenverantwortung und Empathie verlangen, sind sie vermutlich befriedigender als bisherige Routinetätigkeiten. Doch viele Arbeitnehmer werden nur in neue Rollen hineinwachsen, wenn Unternehmen und Politik es als zentrale Aufgabe begreifen, ihnen zu helfen.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: