Kommentar:Die Zukunft verkauft

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Deutsche Unternehmen erleben stürmische Wochen. Bayer, VW, Daimler, Deutsche Bank. Und Thyssenkrupp - ein Konzern, der für den Auf- und Abstieg einer Region steht.

Von Caspar Busse

Stürmische Wochen sind das für deutsche Traditionsunternehmen. Bei Daimler übernimmt an diesem Mittwoch der Schwede Ola Källenius die Führung. Er soll den Stuttgarter Autobauer, der einst das Auto erfunden hat, fit für die Elektromobilität und autonomes Fahren machen. Die Konkurrenten Volkswagen und BMW kämpfen auch um ihre Zukunft. Die Deutsche Bank ringt am Donnerstag auf der Hauptversammlung um ihre Zukunft, Chefaufseher Paul Achleitner steht im Feuer. Für Bayer wird die Übernahme von Monsanto jeden Tag zu einem größeren Desaster. Und Siemens geht den radikalen Weg und hat gerade die Trennung von seinem Kerngeschäft, der Energiesparte, angekündigt.

Am größten ist die Krise allerdings beim Essener Stahlunternehmen Thyssenkrupp, das mit seiner mehr als 200-jährigen Geschichte wie kein anderes für den Auf- und Abstieg einer ganzen Region steht, nämlich der des Ruhrgebiets.

Wenn der Aufsichtsrat an diesem Dienstag über die neue Strategie berät, steht eines schon fest: Thyssenkrupp hat sich in eine Sackgasse manövriert, aus der das Unternehmen möglicherweise nicht mehr rauskommt. Konzernchef Guido Kerkhoff will nämlich nun die profitable Aufzugssparte, auf der so lange alle Hoffnungen gelegen haben und die bislang als unantastbar galt, teilweise versilbern und an die Börse verbringen. Das bedeutet: Thyssenkrupp verkauft die Zukunft, um die Vergangenheit zu retten. Es ist, man kann es nicht anders sagen, ein Drama, das sich da in Essen abspielt. Und es ist ziemlich zweifelhaft, ob dieser Plan aufgehen kann. Denn was ist ein Unternehmen ohne Zukunft wert?

Der Umbau kostet und die Verschuldung ist hoch. Es droht sogar eine Zerschlagung

Es wäre schon interessant, was wohl Heinrich Hiesinger zu diesem Plan sagen würde. Der ehemalige Siemens-Manager hatte 2011 die Führung bei Thyssenkrupp übernommen, er wollte die Stahlsparte, mit der der Konzern einst groß geworden ist, ausgliedern und aus dem Rest einen zukunftsfähigen Technologiekonzern machen - übrigens zusammen mit seinem Finanzvorstand Kerkhoff, dem heutigen Konzernchef. Der gab dann nach dem Abgang Hiesingers die Teilung Thyssenkrupps in zwei eigenständige Firmen bekannt. "Getrennt sind wir stärker", sagte er. Dabei gibt es aktuelle warnende Beispiele, dass solche Aufspaltungen in ein vermeintlich gutes und ein schlechtes Geschäft nicht zum Erfolg führen - das Handelsunternehmen Metro etwa oder der Energiekonzern RWE.

Nun aber hat Kerkhoff erneut eine atemberaubende Wende hingelegt. Wenige Monaten später, nach dem Scheitern des geplanten Stahlgemeinschaftsunternehmens mit Tata Steel, hat er die Aufspaltung wieder abgesagt. Nun also ist der so konjunkturanfällige Stahl wieder das Kerngeschäft - der Bereich also, bei dem es harte Konkurrenz etwa aus China gibt und der von einer möglichen CO₂-Steuer hart getroffen werden könnte. Die übrigen Bereiche, vor allem die Aufzüge, sollen teilweise veräußert oder an die Börse gebracht werden. Thyssenkrupp soll zu einer Holding werden, insgesamt rund 6000 Jobs werden gestrichen. Die Zeit drängt und die Gefahr steigt, dass Unternehmensteile unter Wert verkauft werden. Es droht gar eine Zerschlagung, die ersten Interessenten für einzelne Geschäfte tauchen bereits auf. Wie Kerkhoff unter diesen Bedingungen das Unternehmen zusammenhalten will, ist unklar.

Denn gleichzeitig braucht Thyssenkrupp dringend Kapital, der Umbau kostet, in einigen Geschäftsfeldern müsste investiert werden. Die Verschuldung ist hoch, die Ertragskraft schwach. Noch immer lasten die Fehlentscheidungen der Vergangenheit, große Stahlwerke in Brasilien und im Süden der USA zu bauen, auf dem Unternehmen. Rund acht Milliarden Euro hat das insgesamt gekostet - dringend benötigtes Geld, das nun fehlt. Und nach dem Zickzack-Kurs ist auch das Vertrauen bei Investoren dahin. Schon taucht die Frage auf, ob Kerkhoff überhaupt noch der richtige Mann ist, ob er noch glaubwürdig den Strategiewechsel vertreten kann. Der Aufsichtsrat und Großaktionäre wie die Krupp-Stiftung stehen offenbar noch zu ihm, vielleicht auch aus Mangel an Alternativen.

Bei Siemens in München gehen sie - aber aus einer Position der Stärke - dabei den anderen Weg: Die Vergangenheit, also die traditionsreiche Kraftwerkssparte, wird abgestoßen, die Zukunft soll unter anderem das Geschäftsfeld "Digitale Fabrik" sein. Konzernchef Joe Kaeser sagte, er wolle mit Siemens nicht zu einem Dinosaurier werden. Eines ist jedenfalls klar: Die Zeit der großen diversifizierten Konzerne ist offensichtlich abgelaufen.

© SZ vom 20.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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