Kommentar:Die süße Illusion

Offiziell soll es eine "Fusion unter Gleichen" sein - so steht es auf dem Papier. Doch das ist nur eine Worthülse, mit der vor allem die Gegner kaltgestellt werden sollen.

Von Caspar Busse

Es ist offensichtlich: Dieser Zusammenschluss, sollte er wie jetzt verkündet auch Wirklichkeit werden, ist das Werk von Wolfgang Reitzle. Der Mann, der bis 2014 elf Jahre lange den Münchner Industriekonzern Linde führte und heute der Chefaufseher ist, will sich damit ein Denkmal setzen. Es ist ein 60-Milliarden-Euro-Geschäft, einer der größten Firmenzusammenschlüsse mit deutscher Beteiligung überhaupt. Aus Linde und Praxair entsteht der mit Abstand größte Anbieter von Industriegasen aller Art, die heute in vielen Produktionsprozessen gebraucht werden.

Es soll eine "Fusion unter Gleichen" sein, die bisherigen Aktionäre beider Firmen werden je 50 Prozent an dem neuen Konzern halten. Zwei gleich starke und gleichberechtigte Partner kommen zusammen, natürlich auf Augenhöhe, am Ende bleibt nur das Beste aus beiden Welten, mit großen Synergien. So steht es zumindest auf dem Papier. Dass das in der Realität nicht eintreffen kann, ist spätestens seit der "Hochzeit im Himmel" zwischen den beiden Autoherstellern Daimler und Chrysler bekannt. Auch diese Beiden wollten auf Augenhöhe zusammengehen, am Ende wurde es ein Desaster, das viele Milliarden kostete und nur mit großen Schmerzen rückgängig gemacht werden konnte.

Eine "Fusion unter Gleichen" ist eine süße Illusion, mit der vor allem Gegner kalt gestellt werden sollen. Auch im Fall Linde-Praxair steht die Gleichberechtigung nur auf dem Papier. Der neue Konzern soll zwar Linde heißen und auch an der deutschen Börse notiert sein. Doch das ist wohl nicht mehr als ein Zugeständnis an deutsche Traditionalisten, ist Linde doch immerhin Gründungsmitglied des Dax. Die Zentrale wird in den USA sein, der bisherige Praxair-Chef Steve Angel wird neuer Konzernchef. Die Musik wird also künftig in den USA und nicht mehr in München spielen. Dabei ist Linde vom Umsatz her beinahe doppelt so groß wie Praxair, die Amerikaner sind jedoch profitabler und an der Börse beliebter.

In einem ersten Anlauf war der Milliarden-Zusammenschluss im September noch gescheitert. Doch die Zugeständnisse, die die Amerikaner nun im zweiten Versuch gemacht haben, sind nicht substanziell. Sie haben etwas nachgebessert, bis Ende 2021 soll es zum Beispiel keine betriebsbedingten Entlassungen bei Linde geben, der Anlagenbau wird ausgegliedert. An der bestimmenden Rolle der Amerikaner aber hat sich nichts geändert. Einen großen Gewinner aber gibt es: Wolfgang Reitzle. Er wird künftig Chef des Verwaltungsrats des neuen Superkonzerns sein.

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