Kommentar:Die richtige Form der Milde

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Europa braucht einen neuen Stabilitätspakt - und mehr als hohle Versprechungen.

Von Ulrich Schäfer

Der neue Stabilitätspakt wird denselben Namen tragen, an derselben Stelle im EU-Vertrag stehen, und sein Wortlaut wird sich vom alten nur geringfügig unterscheiden - und doch werden die Schuldenregeln, die sich Europas Staaten in diesem Frühjahr verpassen wollen, einen anderen, neuen Geist atmen.

Man könnte sich, um diese Veränderung zu verstehen, auch vorstellen, dass ein Land sich entscheidet, die eigene Verfassung durch die seines Nachbarlandes zu ersetzen.

Sollte Deutschland das Grundgesetz gegen die französische Verfassung austauschen, würden weiterhin die Menschenrechte gelten, es gäbe ein frei gewähltes Parlament und eine demokratisch legitimierte Regierung - und doch würden sich das Gemeinwesen und das Leben der Bürger erheblich verändern.

Drei Prozent werden nicht mehr drei Prozent sein

Auf den Stabilitätspakt bezogen heißt dies: Anders, als es sich der Vater des Pakts, der damalige Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU), gewünscht hat, werden drei Prozent nicht mehr drei Prozent sein.

So werden sich die EU-Staaten zwar weiterhin verpflichten, ihre Schulden abzubauen, aber sie wollen sich dabei mehr Zeit gönnen und auch nicht mehr aus Brüssel reinreden lassen.

Nimmt man zusammen, was an Ideen durch Europas Hauptstädte geistert, dann wird sich ein Defizitsünder - so hat der niederländische Finanzminister Gerrit Zalm vorgerechnet - künftig eine Neuverschuldung von zehn Prozent seiner Wirtschaftsleistung erlauben dürfen, ohne dass Sanktionen drohen.

Herausrechnen und ausklammern

Die einen wollen herausrechnen, was angeblich dem Wachstum hilft: Ausgaben für Forschung und Bildung und überhaupt Zukunftsinvestitionen. Die anderen wollen die Militärkosten ausklammern.

Und die Deutschen möchten einen Rabatt für die Kosten der Einheit erhalten. Alle Zahlerländer beharren zudem darauf, dass sie einen Bonus für ihre Überweisungen in den EU-Haushalt bekommen.

Es ist schon seltsam, dass die Reformer des Stabilitätspakts genau das machen, was sie den Hütern des Paktes, der EU-Kommission, vorwerfen: Sie setzen den Rechenschieber an. Sie versuchen auf mechanistische Weise jene Teile aus dem ihrer Ansicht nach mechanistischen Pakt herauszubrechen, die sie stören.

Reform tut durchaus Not

Die teils abenteuerlichen Vorschläge verdecken dabei, dass eine Reform des Pakts durchaus Not tut. Schließlich war die Drei-Prozent-Grenze schon immer eine willkürliche Grenze, in ihrer Höhe durch keinerlei ökonomische Theorie begründet.

Ein noch größerer Akt der Willkür war es allerdings, dass die übereifrigen Paktwächter in Brüssel die Defizitsünder zwingen wollten, in Zeiten der ökonomischen Schwäche noch stärker zu sparen - was, wenn man unterstellt, dass der Staatshaushalt durchaus Einfluss auf die Konjunktur hat, den Abschwung noch verstärken würde.

Können und nicht müssen

Die Finanzminister und insbesondere die Staats- und Regierungschefs sollten deshalb in den nächsten Wochen vorsichtig sein, wenn sie über konkrete Korrekturen beraten. Sie sollten verhindern, dass die EU-Kommission sich sklavisch an eine einmal beschlossene Prozedur klammert, und klar machen, was schon jetzt im Pakt steht: Dass die jeweils nächste Stufe in einem Strafverfahren eingeleitet werden kann und nicht muss.

Sie sollten zudem dafür sorgen, dass die Ausnahmeklausel, die eine Phase wirtschaftlicher Schwäche definiert, neu gefasst wird: Größere Milde sollte ein Land nicht nur erfahren, wenn es in eine scharfe, auf ein Jahr beschränkte Rezession abgleitet, sondern auch dann, wenn es unter einer nicht so gravierenden, jedoch mehrjährigen Stagnation leidet.

Neue Beliebigkeit

Die EU-Staaten sollten auf jeden Fall verhindern, dass nun eine neue Beliebigkeit um sich greift und jeder das bekommt, was ihm am bequemsten erscheint.

Es wäre schlimm, und diese Gefahr ist groß, wenn am Ende ein Regelwerk herauskommt, das kein echter, disziplinierender Pakt ist, sondern nur noch ein hohles Versprechen.

© SZ vom 18.01.05 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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