Kommentar:Die Fortschrittsbremse der Ampel

Kommentar: Illustration: Bernd Schifferdecker

Illustration: Bernd Schifferdecker

Die neue Bundesregierung hat sich ehrgeizige Ziele gesetzt. Doch eine wichtige Grundausstattung für jede moderne Volkswirtschaft soll offenbar weiterhin sträflich vernachlässigt werden.

Von Karl-Heinz Büschemann

Ein Hauch von Aufbruch weht durch die Republik. Die neue politische Führung will eine "Klimaregierung" sein, Deutschland werde "ein Musterindustrieland" werden, die Republik brauche einen "umfassenden digitalen Aufbruch". Das rot-gelb-grüne Bündnis will "mehr Fortschritt wagen".

Das ist die gute Nachricht, aber es gibt auch eine schlechte: Vor lauter Weitsicht hat die Ampel aber einige Dinge aus den Augen verloren, die vor ihren Füßen liegen und die den geplanten Fortschritt bremsen werden. Die Infrastruktur der größten Industrienation Europas ist mangelhaft.

Auf den Autobahnen summieren sich die Staustunden. Die Bahn ist dauerverspätet und wird zum Verkehrshindernis im europäischen Zugverkehr. Die Energiewende holpert, viele Schulen sind in beklagenswertem Zustand; die Gesundheitsämter arbeiten noch mit den Mitteln der Achtzigerjahre; zwei Drittel der deutschen Unternehmen klagen über Wettbewerbsnachteile wegen Mängeln im Kommunikationsnetz; noch immer gibt es Mobilfunklöcher, Terminchaos in Bürgerämtern, und die Hauptstadt ist nicht in der Lage, eine Parlamentswahl zu organisieren.

Es wird langsam kritisch. In der Wettbewerbsrangfolge des World Economic Forum ist Deutschland in der Kategorie Infrastruktur von Rang drei in 15 Jahren auf Platz zwölf abgerutscht. Das ist schon paradox: Die Deutschen, die in der Welt für ihre Tüchtigkeit gerühmt werden, scheitern zu Hause daran, das Rückgrat ihrer Wirtschaft zu erhalten. Das aber brauchen sie, um Pandemie, Klimawandel und Verkehrswende oder den Strukturbruch ihrer Autoindustrie zu managen.

Der Verfall dieses Grundgerüsts der Wirtschaft ist das Ergebnis fahrlässiger Vernachlässigung. Das geschieht seit Langem mit Billigung der Regierungen in Bund und Ländern. Das aber nicht, weil immer weniger Geld da wäre. Die Staatsquote, also die Ausgaben des Staates im Verhältnis zum Bruttosozialprodukt, ist über Jahrzehnte stabil geblieben. Allerdings geben Politiker das Steuergeld lieber für andere Dinge aus als für die Zukunftsfähigkeit der Wirtschaft.

Infrastrukturinvestitionen sind politisch zu wenig attraktiv. Ausgaben für Brücken oder Bahnstrecken zahlen sich erst aus, wenn die Politiker, die sie beschlossen haben, längst nicht mehr im Amt sind. Soziale Wohltaten wie Geschenke an Rentner sind für Regierungen ungleich attraktiver. Sie wirken sich schon bei der nächsten Wahl aus.

Sozialleistungen für Alte und Schwache sind auch nicht falsch. Der Fehler ist, dass die Ausgaben für Investitionen relativ zurückgehen. Seit den 70er-Jahren wurden die staatlichen Investitionen von über vier Prozent auf 1,5 Prozent des Bruttosozialprodukts mehr als halbiert. Diese öffentliche Investitionsquote ist zu gering. Die Megatrends der internationalen Wirtschaft, also Digitalisierung und Klimaschutz, "sind an den öffentlichen Investitionen spurlos vorübergegangen", beklagt der Ökonom Moritz Schularick.

Solche Knauserigkeit ist ärgerlich, weil ein Jahrzehnt äußerst günstiger Zinsen diese Vorleistungen des Staates sehr bequem gemacht hätte. So günstig wäre die Ausrüstung der Republik noch nie zu finanzieren gewesen. Doch die Zeit des billigen Geldes wird eines Tages wieder vorbei sein. Derweil schwingen sich viele Länder in Asien auf zur Konkurrenz von morgen. Dass Finanzminister Christian Lindner (FDP) gleich zu Beginn dieser Koalition nötige Mehrausgaben für Klimaprojekte nur mithilfe eines rechtlich wackeligen Nachtragshaushaltes von 60 Milliarden Euro stemmen kann, sagt viel aus über den engen finanziellen Spielraum der Ampel.

Das klingt nicht nach Aufbruch

Es ist beklagenswert, dass auch die neue Bundesregierung der Grundausstattung der Republik zu wenig Aufmerksamkeit zu schenken scheint. Im Koalitionsvertrag ist von der Infrastruktur kaum die Rede. Schon jetzt ist erkennbar, dass die Ampel bei Verkehrswegen wenig Ehrgeiz entwickeln wird. Im Regierungsprogramm wird zwar angekündigt, die Ausgaben für Verkehrsinfrastruktur bis 2025 zu erhöhen. Aber nur "bei wachsendem Etat". Das klingt nicht nach Aufbruch. Die neue Bundesregierung, die mehr Fortschritt wagen will, sollte wenigstens den Rückschritt zu stoppen.

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