Kommentar:Die eigenen Stärken nutzen

Deutschland und Europa sollten in Sachen Digitalisierung auf die Technologie und auf die profunden Kenntnisse von Ingenieuren und Facharbeitern setzen.

Von Helmut Martin-Jung

Deutschland hält viel auf seine Wirtschaftskraft, und das zu Recht. Doch dass das Land bei den Entwicklungen, welche die Zukunft prägen werden, vorne dabei ist, das kann man nicht behaupten - leider. Über die Digitalisierung, Netzausbau und künstliche Intelligenz, um nur einige zu nennen, wird zwar oft geredet. Verglichen mit dem, was die USA und China in Forschung und Entwicklung stecken, nimmt sich der europäische Beitrag bescheiden aus. Gerade in einer Zeit, in der Kooperation so wichtig wäre, zeigen sich verstärkt nationalistische und populistische Tendenzen. Dabei hat die Europäische Union durchaus eine Chance, mehr als das: Bei der Ausgestaltung der neuen Technologien kann sie die Werte, auf die sie sich beruft und auf die sie stolz sein kann, Freiheit und Menschenwürde, einbringen.

Denn der US-amerikanische Weg ist dominiert von den Interessen großer Konzerne, die zwar vorgeben, im Sinne dieser Werte zu arbeiten. Sieht man genauer hin, steht aber der Profit im Vordergrund. Das fängt damit an, dass Steuern mit allerlei Tricks umgangen werden, und endet damit, dass soziale Netzwerke eine große Rolle bei der Manipulation der Bürger spielen und so die Demokratie aushöhlen. Der chinesische Staatskapitalismus dagegen hat einen Pakt geschlossen mit den Bürgern, der ihnen Wohlstand verspricht im Tausch gegen Freiheitsrechte. Solange die Menschen in China den Eindruck haben, es gehe aufwärts mit ihrem Land, wird die Sache funktionieren.

Beide Wege sind bislang erfolgreich, weil die Staaten die Rahmenbedingungen so setzen, dass sich Unternehmen unter ihnen entwickeln können. Diese Bedingungen sind das eine, aber es braucht auch bei den Gründern den Willen, etwas schaffen zu wollen. Viele Menschen in Europa ziehen jedoch eine sichere Festanstellung möglichst bei einem Großunternehmen dem Wagnis einer Gründung vor. Was auch daran liegt, dass das Scheitern eines solchen Versuchs als Makel gesehen wird, nicht aber als Fehler, aus dem man unter Umständen mehr lernen kann als aus einem lauwarmen Erfolg.

Europa sollte nicht den USA oder China hinterherlaufen

Nun kann man das eine verordnen, ein Staat beziehungsweise die EU-Kommission können Rahmenbedingungen schaffen, in denen Gründer es leichter haben. Das andere aber ist eine Mentalitätsfrage, und ob die alleine von den Umständen beeinflusst wird, ist zweifelhaft. Wie kommt man da raus?

Am besten ist es, aus der Not eine Tugend zu machen. Natürlich schadet es nicht, ein bisschen vom Geist des Silicon Valley zu übernehmen, Motto: Wir machen jetzt einfach mal und schauen, was herauskommt. In der Gründerregion im Westen der USA wird aber auch viel Geld verbrannt, weil man vielleicht etwas zu leicht Geld für halbgare Ideen bekommt. Daher - und auch weil in Europa das Geld von Risikokapitalgebern ohnehin nicht so locker sitzt - ist es nicht verkehrt, zwei Punkte zu beachten: Erstens tut man gut daran, das Geschäftsmodell und die Persönlichkeiten der Gründer gut zu prüfen.

Zweitens ist es sicher vernünftig, sich diesseits des Atlantiks nicht daran zu versuchen, die Amerikaner dort zu überholen, wo sie ihre Stärken haben, etwa bei Consumer-Produkten und -Plattformen.

Europa, vor allem seine stärkste Wirtschaftsnation Deutschland, hat seine Stärken in der Technologie. Dort also, wo langjährige Erfahrung und Qualitätsbewusstsein von Ingenieuren und Facharbeitern eingeflossen sind und die Produkte weltweit erfolgreich gemacht haben. Auf dieser Stärke gilt es aufzusetzen, und sie zu verbinden mit dem Neuen, das die Digitalisierung bringt.

Auch künftig werden Dinge produziert werden müssen, und dazu braucht man Maschinen und Werkzeuge. Hier könnte auch der Staat mithelfen, indem er Bemühungen unterstützt, industrieweite Standards zu etablieren. Zudem muss der Netzausbau beschleunigt werden. Wenn das gelingt, sieht die Zukunft weit weniger bedrohlich aus, als viele glauben.

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