Kommentar:Die DNA des Handwerks

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Wie früher bei den Zünften: Die Handswerks-Lobby will das Rad der Geschichte zurückdrehen - und den Meisterzwang in vielen Gewerken wieder einführen. Das wäre ein großer Fehler, der Verbraucher viel Geld kosten würde.

Von Hendrik Munsberg

Kaum etwas ist unerfreulicher als Ärger mit schlechten Handwerkern. Zuerst der Verdruss über die schlampige Arbeit, dann die Ausflüchte und der Streit über die Schadensbeseitigung. Wenn es ganz schlecht läuft, sieht man sich vor Gericht wieder. Am Ende ist viel Zeit vergeudet, und es kann richtig teuer werden.

Doch diesmal ist es das Handwerk, das selbst klagt über Fehlentwicklungen in der eigenen Branche. Verbandspräsident Hans Peter Wollseifer möchte das Rad der Geschichte zurückdrehen. Der 2004 in vielen Gewerken abgeschaffte Meisterzwang soll wieder eingeführt werden. Das wäre ein großer Fehler, für den Verbraucher mit weniger Wettbewerb und höheren Preisen zahlen müssten.

Gegen unqualifizierte Schwarzarbeiter helfen nur Kontrollen

Anfang Juni ist im Wirtschaftsministerium eine Anhörung anberaumt. Die Bundesregierung zeigt sich geneigt, dem Drängen der Handwerksverbände nachzugeben. Wollseifer hält die Liberalisierung für missraten. Die Erfahrung habe gezeigt: Viele Betriebe in den zulassungsfreien Berufen ließen es an Qualität und an Ausbildungsaktivitäten dramatisch mangeln. Die Wiedereinführung des Meisterzwangs werde mehr Wettbewerb und fairere Marktbedingungen bringen.

Kurze Rückblende zum besseren Verständnis: Vor 15 Jahren, Anfang 2004, hatte die rot-grüne Bundesregierung vor der Frage gestanden, was sie angesichts von fast 4,5 Millionen Arbeitslosen unternehmen könnte. Sie schaffte den Meisterzwang in 53 von 94 Handwerksberufen ab - möglichst vielen Menschen sollte so der Weg in die berufliche Selbständigkeit geebnet werden. Seither gibt es zum Beispiel für Schuhmacher, Fotografen, Geigenbauer und Fliesenleger keinen Meisterzwang mehr. Das Kriterium für die Lockerung leuchtet auch heute noch ein: Der Meisterzwang ist überflüssig, wo keine Gefahr für Gesundheit und Leben anderer heraufbeschworen wird. Wo aber das Risiko zu groß ist, lebt er fort. Zu Recht sind deshalb bis heute etwa Kfz-Techniker, Schornsteinfeger, Boots- und Schiffbauer an den Meisterzwang gebunden.

Wie eine Monstranz trägt der Zentralverband Deutsches Baugewerbe jetzt das Beispiel der Fliesenleger vor sich her, für die der Meisterzwang abgeschafft wurde. Seit 2004 hat sich die Zahl der Fliesenlegerbetriebe in Deutschland mehr als verfünffacht, und tatsächlich gibt es massive Beschwerden über Qualitätsmängel, vor allem Handwerker aus den Staaten Mitteleuropas hätten dazu beigetragen. Gleichzeitig ließ die Bereitschaft, Nachwuchs auszubilden, drastisch nach. Statt 550 bestanden zuletzt pro Jahr nur noch 100 Fliesenleger die Meisterprüfung.

Ist die Wiedereinführung des Meisterzwangs also erforderlich und geeignet, das Problem zu lösen? Zu Recht sagt die Monopolkommission nein, sie verweist auf die Fakten: In jenen Handwerksberufen, in denen der Meisterzwang weiter gilt, ging die Zahl der Betriebe von knapp 588 000 auf 574 000 zurück. Ganz anders in den liberalisierten Gewerken, wo es zu einem regelrechten Gründungsboom kam: Statt knapp 75 000 gibt es heute etwa 275 000 Betriebe. Der Wettbewerb hat also Selbständigkeit gefördert. Ja, es stimmt, darunter sind viele kleine Betriebe, "Soloselbstständige" und Migranten. Etliche haben sich als unqualifiziert erwiesen und sind gescheitert. Das nennt man Wettbewerb. Die Preise für Handwerker wären sonst noch höher, der Dauerboom am Bau wäre schwerer zu bewältigen.

Verbraucher brauchen keinen Schutz durch Meisterzwang, sie haben andere Möglichkeiten, sich zu informieren, damit ihnen Fliesenleger nicht den Neubau oder die Renovierung verhunzen. Der einfachste Weg: Man bittet den Handwerker um Referenzen und erkundigt sich, was er taugt. Und gegen unqualifizierte Schwarzarbeiter hilft auch kein Meisterzwang, da helfen nur behördliche Kontrollen.

Im Übrigen: Jeder, der will, kann als Qualitätssiegel auch heute noch die Meisterprüfung ablegen. Dass das Handwerk zu wenig Nachwuchs findet, hat einen anderen Grund, nämlich: Die Konkurrenz um junge Kräfte ist hart, die Anspruchshaltung hoch. Ein Leben als Handwerker gilt als anstrengend und unattraktiv.

Der Handwerksverband hat eine DNA, die bis ins Mittelalter zurückreicht, als es noch Zünfte gab. Die regelten alles akribisch: die Zahl der Handwerker und Gesellen, Löhne, Preise, Arbeitstechniken; wer etwas Neues erfand, musste andere daran teilhaben lassen. Wettbewerbsvorteile einzelner waren ausdrücklich unerwünscht. Muster dieses Denkens leben heute offenkundig im Zentralverband des Deutschen Handwerks fort. Die Bundesregierung sollte dem aber nicht nachgeben.

© SZ vom 31.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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