Süddeutsche Zeitung

Verpackungsmüll:Krach um den Müll

Mehr als 50 Millionen Euro sind im dualen System verschwunden. Das ist ein Symptom dafür, dass einiges in der Müllindustrie schiefläuft.

Kommentar von Hans von der Hagen

Eine der typischen Fragen in deutschen Haushalten ist: Darf das in den gelben Sack? Sie ist symptomatisch für die Verwirrung, die bei vielen Bürgern rund um das Thema Müll herrscht. Es gibt ja mittlerweile auch allerhand zu trennen. Mit anderen Fragestellungen setzt sich das Durcheinander in den Kommunen und der Industrie fort. Warum etwa gibt es in Deutschland mal einen gelben Sack, mal eine gelbe Tonne und wieder woanders nur Wertstoffcontainer? Und das ist nur eine von vielen offenen Fragen. Darum scheint es auch ins Bild zu passen, wenn, wie jetzt bekannt wurde, diesem System mehr als 50 Millionen Euro fehlen. Die Industrie, die das Sortieren des täglich anfallenden Mülls zu ihrem Geschäft gemacht hat, braucht dringend selbst eine neue Ordnung.

Aber was ist "dieses System"? Schon da herrscht viel Unklarheit: Es ist das privat organisierte duale System, das sich neben der öffentlich-rechtlichen Abfallentsorgung etabliert hat. Die meisten erinnern sich nur an den Grünen Punkt, doch längst sind zehn Unternehmen daran beteiligt. Die kümmern sich um das Recycling des Verpackungsmülls und ringen um die Erlöse aus den Lizenzen, die Hersteller von Produkten für die Entsorgung der Verpackungen zahlen. Mit dem Geld beauftragen die zehn Unternehmen wiederum jene Firmen, die die eigentliche Arbeit erledigen: Entsorger und Recycler.

Bei aller Kritik kann in Vergessenheit geraten, dass das duale System in den 27 Jahren seines Bestehens viel Gutes bewirkt hat. Mit einer ausgefeilten Maschinerie gelingt es heute, dem Müll viele sogenannte Wertstoffe abzutrotzen. Und weil Deutschland früher als andere mit der Mülltrennung gestartet ist, sind die notwendigen Technologien teils zu Exportschlagern geworden.

Aber: Das duale System funktioniert nicht aus sich selbst heraus. Es wird erst durch die Lizenzgebühren rentabel, ja sogar lukrativ. Darum hat die einst als Staat im Staate kritisierte Gesellschaft "Der Grüne Punkt - Duales System Deutschland" so viel Konkurrenz bekommen. Der Vorteil: Es gibt einen Wettbewerb um die günstigsten Lizenzgebühren. Der Nachteil: Die Branche ist so unübersichtlich geworden, dass der Wettbewerb nicht mehr auf fairen Regeln basiert.

Eine Kontrollinstanz soll von 2019 an für mehr Ordnung sorgen

Warum? Die Unternehmen im dualen System machen bei ähnlichen Kosten im Grunde alle das Gleiche. Wenn nun mehr als 50 Millionen Euro fehlen, liegt der Schluss nahe, dass sich die Unterschiede bei den Lizenzgebühren weniger durch Effizienzvorteile erklären lassen denn durch Schummeleien. Durch falsche Angaben bei den lizenzierten Müllmengen lassen sich leicht eigene Kosten auf die anderen Anbieter verteilen. Insofern sind Zweifel am Sinn von gleich zehn Firmen im dualen System angebracht.

Für mehr Ordnung dürfte immerhin von 2019 an eine Kontrollinstanz sorgen, die im neuen Verpackungsgesetz vorgesehen ist. Werden dann die Unternehmen gezwungen, ihre Lizenzgebühren korrekter zu berechnen, wird sich womöglich das Geschäft einiger Firmen nicht mehr tragen. Es wäre der erste Schritt zu einer Bereinigung des Marktes.

Doch reicht das, um Bürgern den Durchblick zu erleichtern? Nein. Die Experten des dualen Systems sind oft verwundert, dass viele Menschen die Mülltrennung als kompliziert wahrnehmen. Sie halten alles für ganz einfach. Das zeigt, dass auch in der Kommunikation noch einiges misslingt. Die Bürger wollen nicht jedes Mal überlegen müssen, ob etwas in die Tonne oder den gelben Sack gehört. Zumal sie noch ein ganz anderes Problem zu lösen haben: Wer bringt eigentlich den Müll nach draußen?

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SZ vom 07.10.2017/dit
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