New Economy:Der Wahnsinn ist zurück

Junge Internetfirmen wie Skype sammeln Milliarden ein. Dabei ist der entscheidene Grund für das Platzen der Internet-Blase vor zehn Jahren nach wie vor relevant: Mit Ideen allein lässt sich kein Geld verdienen.

Varinia Bernau

Es ist eine schwindelerregende Summe - und in gewissem Sinn doch ein Schnäppchen: 8,5 Milliarden Dollar hat der Softwarekonzern Microsoft für den Internettelefondienst Skype hingelegt. Nichts war den Managern aus Redmond jemals so viel wert wie jene Erfindung, die zum Synonym des modernen Telefongesprächs geworden ist.

Microsoft Announces Skype Acquisition For 8.5 Billion

Skype-Chef Tony Bates (links) und Microsoft-CEO Steve Ballmer verkünden die Übernahme des Telefonie-Anbieters durch den Software-Konzern: Im Internet ist alles möglich, nur kosten darf es nichts.

(Foto: AFP)

Man mag das für verrückt halten, weil Skype bislang nur Verluste angehäuft hat. Man mag es aber auch für klug halten, weil die Erfinder Janus Friis und Niklas Zennström beim geplanten Börsengang für ihre geniale Technologie wohl noch viel mehr bekommen hätten.

Lange machten Investoren einen großen Bogen um alles, was mit dem Internet zu tun hatte. Tief saß der Schock nach dem Platzen der Internetblase um die Jahrtausendwende.

Mit vollmundigen Versprechen hatten sich damals Garagenfirmen zu Börsenstars aufgeschwungen. Ihre Businesspläne aber waren dünn. Die wenigsten Unternehmer konnten die in die Höhe getriebenen Erwartungen erfüllen. Dem Rausch folgte Ernüchterung. Milliarden wurden damals vernichtet.

Nun, zehn Jahre später, werden die neuen Wunderkinder des World Wide Web wieder gefeiert wie Pop-Stars. Allein im ersten Quartal 2011 verteilten amerikanische Wagniskapitalgeber sieben Milliarden Dollar - 76 Prozent mehr als im selben Zeitraum des vergangenen Jahres - an Start-ups, die längst nicht immer ein solides Geschäftsmodell, manchmal noch nicht einmal eine außergewöhnliche Idee haben.

Und dass Renren, das chinesische Pendant zu Facebook, kurz vor dem Börsengang Anfang Mai einen Patzer in der Buchhaltung einräumen und seine Wachstumsperspektive nach unten korrigieren musste, kümmerte schon keinen mehr. Renren sammelte 743 Millionen Dollar an der Wall Street ein. Die Gier ist größer als der Lerneffekt. Der Wahnsinn ist zurück.

Damals genügte es, das Stichwort Internet fallen zu lassen, um Investoren für sich zu gewinnen. Heute gilt der Rausch allem, was mit Vernetzung zu tun hat: Der Kurznachrichtendienst Twitter soll fast so viel wert sein wie die Lufthansa, der Plaudertreff Facebook mehr als der Energiekonzern Eon und das Schnäppchenportal Groupon fast so viel wie der Stahlkonzern Thyssen-Krupp.

Damals hatten die wenigsten Anleger Ahnung vom Internet. Heute ruft jeder Manager Börsenkurse auf seinem Blackberry ab. Das Internet ist zum festen Bestandteil des Alltags geworden - und doch immer noch ein Faszinosum: Welche enorme Wirkung soziale Netzwerke entfalten können, hat die arabische Revolution gezeigt. Per Facebook und Twitter organisierte Demonstrationen auf dem Tahrir-Platz haben politische Beobachter in Staunen versetzt - und auch die Phantasie von Investoren beflügelt: Eine Technologie, die Diktatoren zu Fall bringt, muss doch eine Menge wert sein.

Im Rausch wird der Verstand ausgeschaltet. Und so wollen auch viele Anleger nicht wahrhaben, was sich seit dem Platzen der Internetblase eben nicht geändert hat: Mit einer Idee allein, so gut sie auch sein mag, lässt sich noch kein Geld verdienen. Kein anderes der umworbenen Internetunternehmen verdeutlicht dies so anschaulich wie Skype: 660 Millionen Menschen haben sich bei dem Dienst angemeldet, aber nicht einmal jeder Zehnte von ihnen ist bereit, dafür etwas zu zahlen. Im Internet ist alles möglich, nur kosten darf es nichts. Daran haben sich die meisten, die im Netz unterwegs sind, längst gewöhnt.

Geld verdienen lässt sich nur mit Werbung

Sicher, es gibt sie, die Stars der New Economy, deren Träume vor zehn Jahren nicht geplatzt sind. Computerfreaks, die es geschafft haben, aus einem Studienprojekt einen Konzern zu formen, dessen Wachstumsaussichten noch immer weit über dem liegen, was in der Old Economy zu holen ist: Googles Gewinn etwa ist in den vergangenen fünf Jahren um 40 Prozent gestiegen, die Aktie hat seit dem Börsengang 2004 um 660 Prozentpunkte zugelegt.

Doch der Suchmaschinenbetreiber, der längst auch Bibliothekar und Poststelle im Netz geworden ist und führerlose Autos durch San Francisco schickt, lehrt stellvertretend für die gesamte Branche: Geld verdienen lässt sich im Internet bislang nur mit Werbung. Und selbst wenn Unternehmen ihr Budget für Anzeigen und Aktionen immer stärker ins Netz schieben - für alle wird das nicht reichen.

Das Tempo, in dem sich die Branche wandelt, hat sich eher erhöht. Und je weniger Zeit bei der Suche nach dem nächsten großen Ding vergeht, desto größer ist das Risiko, Investitionen in den Sand zu setzen. In Zukunft werden es Internetfirmen in noch viel kürzerer Zeit vom Nobody zum Marktführer bringen. Es braucht nur eine neue Idee - und etwas Rechenleistung. Doch bieten sich dem einen endlose Möglichkeiten im Netz, dann bieten sie sich auch einem anderen.

Denn gute Ideen kann in einer Welt, die auf Austausch setzt, niemand lange für sich behalten. Das Prinzip des Schnäppchenportals Groupon, das es erst seit drei Jahren gibt, haben bereits mehr als 50 ähnliche Plattformen nachgeahmt. Im Netz zählt die Idee, nicht das Unternehmen, das diese Idee umsetzt. Gut möglich, dass der strahlende Sieger von morgen ein Start-up wird, das heute noch keiner kennt.

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