Kommentar:Der Staat muss helfen

Die Autoindustrie steht vor einem gewaltigen Umbruch. Der Abschied vom Verbrennungsmotor verlangt völlig neue Lösungen. Allein ist das schwer zu stemmen.

Von Max Hägler

Es ist ein großes Bild, das Volkswagen-Chef Herbert Diess da zeichnet: Wenn sich sein Konzern nicht schnell wandle, dann könne passieren, was Nokia einst passierte: Der Handyhersteller war führend auf der Welt - und verschwand dann ganz schnell vom Markt, als die Konkurrenz Multifunktionsgeräte mit Wischbedienung erfand. Nun neigt Diess zu Übertreibungen zum Zwecke der Motivation, aber es stimmt schon: die Lage in Deutschlands Vorzeigeindustrie wird zunehmend schwieriger. Die weltweite Nachfrage sinkt, die Margen vielerorts deshalb auch, zugleich ändern sich die Technologien, werden Autos zunehmend zu Smartphones mit E-Motor.

Und so ist es völlig richtig, dass sich Politik, Manager und Arbeitnehmer immer öfter zusammenfinden, wie jetzt bei einem Autogipfel in Berlin, um nicht nur die Lage ungeschönt zu bereden, sondern auch um mögliche Lösungen zu finden, soweit es sie gibt. Der Staat muss flankieren und kann das auch. Die unangenehme Wahrheit ist dabei aber auch: Es wird nicht für alles Lösungen geben.

Im vergangenen Jahr haben die größten und angesehensten Autofirmen mit einem Stellenabbau begonnen. Daimler, Audi, Continental, Bosch, und dahinter Dutzende mittelgroße und kleinere Zulieferer. Die ganz großen Proteste der Gewerkschaften bleiben aus, weil die Arbeitnehmervertreter meist nicht mehr Spielräume sehen als die Manager - auch das zeigt, wie gefährlich die Situation ist.

Ein Grund: In China und in den USA verkaufen sich weit weniger Wagen als erhofft. Und es wird in diesem Jahr nicht besser, auch Europa geht nun nach unten im Absatz und bei den Renditen: Von 100 Euro Umsatz bleiben in vielen Firmen derzeit nur vier oder fünf Euro als Gewinn hängen, wenn überhaupt. Die dazu passende aktuelle Meldung: Beim Überraschungsüberflieger, der Peugeot-Gruppe samt Opel, ist der Absatz in 2019 um zehn Prozent zurückgegangen. Im Jahr 2020 dürfte es ein böses Erwachen auf dem europäischen Kontinent geben, befürchten die Analysten, die täglich Absatzzahlen und das Kundeninteresse wägen. Unter den Bedingungen dieser "globalen Konjunkturdelle", deren Ende nicht absehbar ist, vollzieht sich eine einschneidende Evolution: Autos mit Elektroantrieb statt Verbrennermotoren. Viel einfacher sind sie in der Mechanik.

Hier einige Aufträge weniger wegen der schlechten Wirtschaftslage, dort wegen der Umstellung der Technik: Vor allem die Zulieferer kommen stark unter Druck - und brauchen Unterstützung. Und selbst dann werden viele Jobs wegfallen: Von minus 80 000 bis zum Jahr 2030 redet der Autoverband, Regierungsberater sehen gar ein Minus von 400 000. Das wäre etwa die Hälfte der bisherigen Arbeitsplätze in der Branche. Es ist der hohe Preis des so dringend notwendigen Klimaschutzes, den die Politik beschlossen hat mittels der europaweiten CO₂-Beschränkung bei Neuwagen.

Nicht alles wird sich auffangen lassen, aber es gibt berechtigte Hoffnung, dass sich diese Herausforderungen abfedern lassen. Manche Firmen scheinen derzeit einigermaßen klug zu steuern, können also Vorbild sein, BMW und VW etwa. Vor allem aber hat Deutschland das Potenzial, die doppelte Herausforderung besser anzugehen als andere, weil das Know-how hoch ist und das konstruktive Miteinander. Baden-Württemberg und Bayern holen bereits regelmäßig Wirtschaftslenker und Arbeitnehmervertreter an einen Tisch, und im Kanzleramt haben sie nun endlich auch erkannt, dass sich Autogipfel nicht nur um das (auch wichtige) Thema Dieselskandal drehen sollten, sondern vor allem um die Zukunft.

Das Vorbild für das einigermaßen gute Bewältigen der Konjunkturkrise liegt in den Archiven, die Weltwirtschaftskrise des Jahres 2008/2009. Dort halfen etwa staatlich finanzierte Weiterbildungsprogramme und auch das Kurzarbeitergeld, ganz große Einschnitte abzuwenden. Es ist also richtig, wenn Arbeitnehmer wie Arbeitgeber nun einen erleichterten Zugang zu diesen Werkzeugen fordern. Die Idee eines Fonds für Zulieferer ist ebenfalls hilfreich, mit dem diese bei Banken derzeit scheel angesehenen Firmen einfacher an Kapital kommen könnten. Denn um den Technologiewandel zu gestalten, müssen sie investieren - in die Ausbildung von Mitarbeitern, in Maschinen und in Computercodes. Allein ist das schwer zu stemmen bei einer nachlassenden Nachfrage.

Diese Werkzeuge werden die Gesellschaft viel Geld kosten, von bis zu 20 Milliarden Euro redet die Branche. Aber es wäre sinnvoll eingesetzt. Und es sollte rasch kommen. Man denke kurz an Nokia.

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