Kommentar:Der falsche Mann

Tim Höttges hat die Deutsche Telekom beharrlich auf Erfolgskurs gebracht. Jetzt soll er auch Kontrolleur im Aufsichtsrat des kriselnden Daimler-Konzerns werden. Das ist kein guter Plan: Für diesen heiklen Job fehlt Höttges einfach die Zeit.

Von Caspar Busse

Auf die Innenfläche seiner linken Hand hatte sich Tim Höttges die wichtigsten Zahlen geschrieben, damit er sie bei seiner Bilanzpräsentation auch ja nicht vergisst. Die Ergebnisse, die sich der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Telekom notiert hatte, waren durchaus sehenswert: Mehr Umsatz, mehr Gewinn, gute Aussichten, und die Fusion der US-Tochterfirma mit dem Konkurrenten Sprint steht nach zwei Jahren kurz vor dem Abschluss. Genau 25 Jahre nach der Privatisierung des ehemaligen Staatsunternehmens Deutsche Bundespost steht die Telekom so gut wie lange nicht mehr da. Das ist durchaus das Verdienst von Höttges, seit elf Jahren im Vorstand und seit sechs Jahren Konzernchef. Er hat die Telekom mit seiner beharrlichen und manchmal auch sehr direkten Art auf Kurs gebracht.

Jetzt macht Höttges einen Ausflug in ganz andere Welten: Am 1. April soll er - zusätzlich zu seinem Job als Konzernchef - in den Aufsichtsrat des kriselnden Daimler-Konzerns gewählt werden und dort den Platz von Paul Achleitner einnehmen; der Chefaufseher der Deutschen Bank verlässt das Gremium nach zehn Jahren. Telekom-Chef soll Expertise für die Digitalisierung und den Umbruch zum autonomen Fahren bringen, so die Idee. Beim Umbau des ältesten Autobauers der Welt zu helfen und dabei jemanden wie Achleitner zu beerben, da dürfte sich Höttges durchaus "geadelt" fühlen. Mit Blick auf gute Unternehmensführung (Corporate Governance) ist die Berufung von Höttges aber ein falsches Signal, auch wenn das nicht an der Person Höttges liegt. Der Telekom-Chef hat unbestritten das Format, Daimler zu beaufsichtigen, er hat bei der Telekom bewiesen, wie sich ein Unternehmen aus einer hartnäckig schlechten Situation befreien lässt. Er kennt auch Ola Källenius, den neuen Vorstandsvorsitzenden bei Daimler. Die beiden schätzen sich durchaus, was Höttges aber nicht davon abgehalten hat, kürzlich ausdrücklich die Software des Daimler-Konkurrenten Tesla zu loben. Als Ja-Sager ist Höttges ohnehin nicht bekannt. Er ist als Daimler-Aufseher auf dem Papier also eine gute Wahl.

Ein Aufsichtsratsmandat braucht viel Zeit und kann nicht nebenbei erledigt werden - erst recht nicht bei Daimler

Aber hat Höttges überhaupt genug Zeit für den Job? Eigentlich verfügt er bereits über genügend Mandate: Neben seinem Chefposten bei der Telekom ist er auch Vorsitzender des Verwaltungsrats der US-Tochter T-Mobile US, alleine dafür muss er mehrmals im Jahr in die Vereinigten Staaten. Daneben beaufsichtigt Höttges bereits den Konsumgüterkonzern Henkel und ist im Aufsichtsrat des FC Bayern München (die Telekom ist Hauptsponsor). Zudem ist er Verwaltungsrat bei British Telecommunications (BT) in London. Auch wenn Höttges den Job in Großbritannien möglicherweise künftig aufgeben wird: ein Aufsichtsratsmandat braucht inzwischen viel Zeit und kann nicht nebenbei erledigt werden, noch dazu, wenn es sich um einen Fall wie Daimler handelt: Das Unternehmen muss schnell umsteuern. Mit der Wahl von Höttges würde zudem die Chance vertan, jemanden bei Daimler zu berufen, der später auch den Aufsichtsrats-Vorsitz übernehmen könnte (der Telekom-Chef hat keine Ambitionen). Manfred Bischoff, seit 13 Jahren Chefaufseher, will seinen Posten im kommenden Jahr niederlegen. Er selbst präferiert für seine Nachfolge nach wie vor Dieter Zetsche. Der ehemalige Daimler-Vorstandschef könnte nach der vorgeschriebenen Zwangspause von zwei Jahren, der sogenannten "Abkühlphase", in den Aufsichtsrat gewählt werden. Doch gegen den Plan wächst der Widerstand, auch von großen Investoren. Die geben ihm die Verantwortung für das aktuelle Desaster. Zetsche ist in der Tat keine gute Wahl. Die Rolle der Aufsichtsräte hat sich sehr gewandelt. Sie müssen heute unangenehmen Fragen stellen, das Geschäftsmodell kritisch prüfen und gegebenenfalls auf einen neuen Kurs drängen, sie sind eine Art Sparringspartner für den Vorstand. Das ideale Aufsichtsgremium nickt schon lange nicht mehr still ab, was der Vorstand vorschlägt. Nicht mehr zeitgemäß ist auch die Praktik, den Vorstandschef automatisch an die Spitze des Aufsichtsrats zu hieven, das ist derzeit bei BMW, Volkswagen, Linde, Bayer, BASF, Allianz oder Munich Re so. In diesen sich schnell ändernden Zeiten ist das sogar gefährlich, weil so wichtige Impulse fehlen. Vorbild für Daimler könnte Siemens sein: Dort führt der ehemalige SAP-Chef Jim Hagemann Snabe das Aufsichtsgremium, er hatte vorher nie bei Siemens gearbeitet, ist deutlich jünger als Konzernchef Joe Kaeser und sorgt für Impulse. Diese Rolle kann Höttges in seiner Lage bei Daimler aber nicht übernehmen.

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