Kommentar:Der Dienst am Menschen

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Ein soziales Pflichtjahr für alle jungen Menschen? Manche hoffen, dass man damit den Pflegenotstand in Deutschland in den Griff bekommen könnte. Doch das stimmt nicht. In den Pflegeheimen fehlen nicht wahllos Menschen, sondern Fachkräfte.

Von Kristiana Ludwig

Wenn man in diesen Tagen den Politikern zuhört, dann liegt die Lösung des Pflegenotstands, der großen Krise des deutschen Gesundheitssystems, geradezu auf der Hand. Eine neue Wehrpflicht, wie manche sie fordern, oder eine deutsche "Dienstpflicht" - wie es die CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer nennt - könnte bald nicht nur wieder Soldaten rekrutieren. So ein Dienst könnte auch Tausende junge Schulabgänger zurück in die leer gefegten Pflegeheime, Krankenhäuser und Sozialstationen führen.

Der Dienst am Menschen, vom Staat verordnet, helfe dann nicht nur den Alten und Kranken, so die Idee, sondern auch den Jungen, die in ihrem Pflichtjahr etwas über unsere Gesellschaft begreifen und zu besseren Menschen werden können. Alle profitieren, könnte man also sagen. Aber das stimmt nicht.

Richtig ist vielmehr, dass der Bundesfreiwilligendienst, der den Zivildienst ersetzte, die jungen Helfer in der Kliniken und Pflegeeinrichtungen nur bedingt ersetzen konnte. Von den rund 40 000 Bundesfreiwilligen im Jahr arbeitet heute nur etwa die Hälfte in einer sozialen Einrichtung. Der Rest von ihnen engagiert sich etwa im Umweltschutz, in Kultur- und Sporteinrichtungen und auch mal als Hilfsarbeiter in Kommunen. Zum Vergleich: Vor zehn Jahren waren jedes Jahr noch mehr als 60 000 Zivildienstleistende im Einsatz, Krankenhäuser und Altenheime gehörten zu den größten Trägerorganisationen. Mehr als 30 000 angehende Zivis ließen sich zu dieser Zeit zur Alten-, Behinderten- und Krankenhilfe ausbilden.

Doch die Eignung der jungen Helfer für den anspruchsvollen Pflegeberuf war schon damals umstritten. Gerade zwei Wochen dauerte damals ein Lehrgang. Auch heute stellt sich die Frage der Ausbildung für die jungen Pflichthelfer wieder neu. Sicher, ein paar Unterstützer beim Verteilen des Mittagessens oder in den Betreuungsstunden würden die Pflegekräfte in den unterbesetzten Heimen etwas entlasten. Doch für eine echte Antwort auf den Pflegenotstand wäre ein so simples Ausweichen auf neue Pflichtdienstler kontraproduktiv.

Weder Aushilfen noch Billighelfer werden etwas am Pflegenotstand ändern

Denn den Pflegeheimen in Deutschland fehlen nicht wahllos Menschen, die dort mal anpacken können, sondern vor allem gut ausgebildete Fachkräfte. In vielen Ländern der Erde sind Pflegerinnen und Pfleger längst Akademiker, die an der Hochschule gelernt haben, wie sie Kranke richtig behandeln und betreuen. Hier dagegen kümmern sie sich um alle Dinge des Alltags, vom Zähneputzen bis zum Wäschefalten. Häufig arbeiten Pflegekräfte unter großem Zeitdruck. Ihre direkten Kollegen sind immer öfter eilig geschulte Pflegehelfer. Weil überall Personal fehlt, übernehmen diese gering qualifizierten Kräfte nicht selten medizinische Aufgaben, für die sie gar nicht ausgebildet sind. Es entsteht eine Arbeitsatmosphäre aus Zeitnot und Hektik, die nicht nur die Mitarbeiter frustriert, sondern auch Pflegebedürftige und Angehörige belastet.

Um kurzfristig Abhilfe zu schaffen, zahlen viele Heime heute hohe Summen für Springer von außen. Dazu kommt das Problem der Leiharbeit in der Pflege. Zeitarbeitsfirmen werben hier mittlerweile Pfleger aus ihren Einrichtungen ab, um sie zu einem besseren Lohn im selben Haus wieder einzusetzen. Wie ein Bumerang hat sich so der Wunsch der Heimbetreiber nach schnellen, einfachen Aushilfen gegen sie gewendet. Dies ist ein weiterer Beleg dafür, wie verfahren die Situation in der Pflege heute ist.

Wie man es auch dreht: Weder Aushilfen noch Billighelfer, weder Bundesfreiwillige noch die Zivis der nächsten Generation werden etwas an dem heutigen Pflegenotstand ändern. Um nachhaltig die Lage zu verändern, braucht es attraktive Ausbildungswege für gute Fachkräfte in den Heimen und Kliniken. Pfleger brauchen eine angemessene Bezahlung und Möglichkeiten, sowohl in Voll- als auch Teilzeit zu arbeiten. Pflegefachkräfte brauchen Chancen, Verantwortung zu übernehmen und im Unternehmen aufzusteigen. Nur so werden Pflegeheime wieder als Arbeitsplätze attraktiv - und nicht nur als einmaliges Erlebnis.

© SZ vom 08.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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