Kommentar:Das Ringen um die schwarze Null

Wolfgang Schäuble steht vor dem schwierigsten Jahr, das er je zu bewältigen hatte. Der Zustrom von Flüchtlingen belastet den Haushalt, aber der CDU-Politiker will seinen Kurs auf jeden Fall beibehalten.

Von Cerstin Gammelin

Es ist nicht üblich, dass Bundesfinanzminister in der Gunst des Volkes ganz oben stehen. Insofern hat Wolfgang Schäuble im vergangenen Jahr eine beachtliche Vorstellung abgeliefert. Drei von vier Bundesbürgern waren im Dezember mit seiner Arbeit zufrieden oder sehr zufrieden. Nun aber zeichnet sich ab, dass der beliebte CDU-Politiker 2016 vor dem schwierigsten Jahr steht, das er je zu bewältigen hatte.

Der Zustrom von Millionen Flüchtlingen, Terror und krisenhafte Entwicklungen in Europa werden Schäubles Haushalt ungewöhnlich belasten. Noch ist die Summe seriös nicht kalkulierbar. Schäuble hat das Unkalkulierbare zumindest in einen politischen Kurs übersetzt und "Auf Sicht fahren" vorgegeben. Vordergründig lässt ihm das ausreichend Raum, an seinem Ziel festhalten zu können, auch 2016 einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. Zugleich lässt Schäuble die Hintertür offen, dass der Jahresabschluss 2016 auch in roter Tinte geschrieben werden könnte.

Schäuble hat die zusätzlichen Kosten bisher aus den komfortablen Überschüssen bezahlt, die ihm gute Konjunktur und sprudelnde Steuereinnahmen bescheren. Er hat davon profitiert, dass die Preise für Rohstoffe so niedrig sind wie seit Jahren nicht mehr. Und davon, dass der Kurs des Euro so weit gefallen ist, dass deutsche Exporteure ihre Produkte preiswert anbieten können. Schließlich haben die historisch niedrigen Zinsen den Kapitaldienst der Bundesrepublik um Milliardenbeträge verbilligt. Der Bundesfinanzminister konnte aus dem Vollen schöpfen, ohne sich besonders anstrengen zu müssen. Er konnte es sich leisten, nötige Reformen wie die Modernisierung des Steuersystems gar nicht erst anzupacken, die er, pikantes Detail, von anderen europäischen Ländern selbstverständlich fordert.

Schäuble könnte aus guten Umfragewerten Wählerstimmen machen

Schäubles Versäumnisse dürften sich bemerkbar machen, sobald die Lage schlechter wird. Die amerikanische Notenbank Fed hat bereits begonnen, die Politik der extrem niedrigen Zinsen zu beenden. Die Europäische Zentralbank wird absehbar diesem Kurs folgen. Das bedeutet, dass die Refinanzierung der Schuldenberge, in Deutschland wie der gesamten Euro-Zone, teuer wird.

Teurer wird es auch, weil der Bundesfinanzminister gefordert ist, deutsche Interessen in Europa mit zusätzlichen Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt durchzusetzen. Die Türkei soll mit viel Geld dazu bewegt werden, potenzielle Asylbewerber an der Weiterreise nach Europa und damit auch nach Deutschland zu hindern. Einige Milliarden Euro jährlich wird es kosten, die europäischen Außengrenzen zu schützen und Auffanglager zu betreiben.

Weil viele EU-Staaten nicht mithelfen, andererseits die meisten Flüchtlinge nach Deutschland wollen, liegt es im besonderen Interesse der Bundesregierung, notwendige Vorkehrungen selbst zu finanzieren. Angesichts der immensen Herausforderung ist es beinahe logisch, dass Schäuble bei einem anderen Krisenfall eher wegschaut. Griechenland ist wieder deutlich im Verzug, seine Versprechen zu erfüllen. Die erste Kontrollmission der Geldgeber ist nicht abgeschlossen, der Internationale Währungsfonds noch nicht an Bord. Früher waren das die Bedingungen für Schäuble, überhaupt Kredite für Athen zu genehmigen. Heute schweigt er.

Vor dem Minister türmen sich Aufgaben, von denen jede für sich genommen eine plausible Begründung bietet, die schwarze Null, also den ausgeglichenen Etat, zu opfern. Schäuble wird dies unter allen Umständen vermeiden wollen. Es wäre wahlstrategisch schlecht für die Union, weil die Gewissheit vieler Deutscher dahin wäre, wonach Schäuble solide Staatsfinanzen garantiert. Es wäre ein schlechter Start in den Bundestagswahlkampf 2017. Wenn es Schäuble dagegen gelänge, die schwarze Null zu erhalten, könnte er aus Umfragewerten Wählerstimmen machen. Dass er dazu fest entschlossen ist, notfalls mit populistischen Maßnahmen, zeigt sich an den gerade bekannt gewordenen Plänen, angebliche Sozialschmarotzer aus anderen EU-Staaten abzuweisen.

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