Kommentar:Conte, der Verweigerer

Kommentar: Ulrike Sauer fand den Lockdown richtig. Der Stillstand danach aber ärgert sie.

Ulrike Sauer fand den Lockdown richtig. Der Stillstand danach aber ärgert sie.

Die Corona-Krise böte Italien die Chance, endlich die Lähmung der vergangenen Jahre zu überwinden. Aber der Premierminister entzieht sich seiner Verantwortung - und bringt damit ganz Europa in Gefahr.

Von Ulrike Sauer

Deutschland und Italien. Wieder mal kommt es auf sie an. Nur gemeinsam können beide Länder verhindern, dass es Europa in der Corona-Krise zerreißt. Und die Rollen sind dabei klar verteilt: Von Berlin aus boxt Angela Merkel den gemeinsamen Wiederaufbaufonds bei den widerspenstigen EU-Partnern durch, in Rom tut Giuseppe Conte alles, um im Interesse aller Italiens Wirtschaft vor dem Kollaps zu bewahren. Die Kanzlerin hat sich dafür weit vorgewagt und eine unerwartete Wende hingelegt: Für den milliardenschweren Corona-Hilfstopf soll die EU erstmals gemeinsam Schulden aufnehmen. Das ist weit weg von Berlins bisheriger Linie. Rom hat damit sein politisches Alibi verloren. "Europa hilft Italien nicht", lautete die Klage, mit der man Verantwortung gern nach Brüssel abschob. Nun aber stünden mehr als 230 Milliarden Euro bereit - 13,5 Prozent der Wirtschaftskraft Italiens.

Das Geld böte eine einmalige Gelegenheit, das blockierte Land endlich aus seinen Fesseln zu befreien. Nie stand die Chance für einen Aufbruch so gut. Damit verbunden ist aber auch eine große Verantwortung: Italien muss beweisen, dass es sich reformieren, dass es das Geld sinnvoll einsetzen und damit seinen Beitrag zum Überleben der EU leisten kann.

Italiens Premier Conte entzieht sich bei der Rettung Europas seiner Verantwortung

Conte entzieht sich dieser Verantwortung. Den Italienern fehlt es nicht vor allem am Geld, sondern an der Fähigkeit, es auszugeben. So wurden mit den Staatshaushalten der vergangenen vier Jahre insgesamt 39 Milliarden Euro für Investitionen verabschiedet - in Umlauf gebracht wurde davon noch kein Cent. Auch mit der Nutzung des EU-Strukturfonds ist das Land überfordert. Zwischen 2014 und 2020 wurden nur 35 Prozent der Mittel ausgegeben. Und sogar die nach dem Covid-Ausbruch bewilligten Soforthilfen hingen monatelang in der Bürokratie fest. Auch das zweite Rettungspaket der Regierung verspricht keine Besserung, hängt seine Umsetzung doch von 90 einzeln zu verabschiedenden Ausführungsdekreten ab. Um die Lähmung zu beenden, bräuchte es aber einen glaubwürdigen und vor allem sofort umsetzbaren Reformplan.

Dabei geht es ums Ganze: Bricht eine Pleitewelle mit Massenarbeitslosigkeit über das Land herein, bedroht das nicht allein die politische Stabilität. Ein Kollaps brächte das Land mit seiner Schuldenquote von 160 Prozent auch am Finanzmarkt in Nöte. Umso schlimmer ist es, dass es in Rom keine Signale für eine Wende gibt. Conte sperrt sich gegen Korrekturen an der populistischen Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik seiner vorherigen Koalition, welche die Wettbewerbsschwäche Italiens verschärft hat. Stattdessen wird eine surreale Debatte über einen 37-Milliarden-Euro-Kredit des europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) geführt: Der Premier traut sich nicht, das Parlament über das Abrufen der einzigen sofort verfügbaren Mittel abstimmen zu lassen - weil seine Freunde von den Fünf Sternen den ESM in ihrem antieuropäischen Reflex als einen Knebelungsversuch Brüssels geißeln.

Stattdessen versucht Conte, sich wenigstens als Macher zu inszenieren - und scheitert auch damit. Acht Tage lang beriet er zwischen Stuck und Marmor hinter verschlossenen Türen mit Lobbyisten und Persönlichkeiten über einen Wiederaufbauplan. Das Urteil der Unternehmer fiel harsch aus: Ein guter Showman sei der Premier zwar, aber ohne Vision und ohne konkrete Vorhaben. Denn heraus kam bei dem Treffen eigentlich nur die vage Aussicht auf eine Senkung der Mehrwertsteuer. Die ist populär.

Dem schwierigen Zusammenspiel mit Berlin und Brüssel entzieht sich Conte weiter. Dabei bräuchte Europa in Rom dringend einen Reformer und keinen Verweigerer.

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